Parallelen von Abtreibung und Sexarbeit

Bei diesem Text handelt es sich um meine Übersetzung des Blogartikels „If privileged women were as likely to do survival sex work…“ der us-amerikanischen Sexworkerin und Autorin @LoriAdorable, die ich mit freundlicher Genehmigung anfertigen und veröffentlichen durfte. Auch wenn die Sicht auf die Verbotsdebatte eine eher amerikanische ist, hat mir Loris Vergleich neue Perspektiven erhöffnet, Argumente, die ich in der Form zuvor nicht bedacht habe. Das ist selten und wertvoll. Daher möchte ich den Text gerne auch einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich machen. Viel Spaß bei der Lektüre!

Parallelen von Abtreibung und Sexarbeit ~ Lori Adorable

Würden privilegierte Frauen eben sooft in die Sexarbeit* einsteigen, um ihr Überleben zu sichern, wie sie Abtreibungen vornehmen lassen, gäbe es keine feministische Debatte über Sexarbeit.

[Ich werde hier über Frauen sprechen, weil Frauen den Großteil der Menschen ausmachen, die ihren Lebensunterhalt durch Sexarbeit verdienen und die Abtreibungen vornehmen lassen, was ein Gender-Problem ist. Aber bitte vergeßt nicht, dass es auch einige Männer und nicht binär-geschlechtliche Menschen gibt, die beides tun.]

Die Parallelen zwischen Sexarbeit zur Lebenserhaltung und Abtreibung sind erstaunlich:

  • Es ist niemals die erste Idee, die einem in den Sinn kommt, eine Abtreibung vornehmen zu lassen oder zur Sicherung des Lebensunterhalts in die Sexarbeit einzusteigen.
  • Man tut es nur, weil andere Optionen fehlgeschlagen sind.
  • Andere Optionen schlagen hauptsächlich deshalb fehl, weil die Gesellschaft sich weigert, sie anzubieten.
  • Einige Frauen finden Abtreibungen traumatisch. Einige Frauen finden Sexarbeit zur Sicherung des Überlebens traumatisch. Einige stört es nicht weiter.
  • Einige Frauen, die Abtreibungen hatten, sprechen sich hinterher für Abtreibungsverbote aus. Einige Frauen, die zum Lebenserhalt in der Sexarbeit tätig waren, sprechen sich hinterher für ein Prostitutionsverbot aus. Die meisten tun es nicht.
  • Viele Abtreibungsgegner meinen, es sei eine gute Idee, die Ärzte und nicht die Patientinnen zu bestrafen. Viele Prostitutionsgegner meinen, es sei eine gute Idee, die Kunden und nicht die Anbieterinnen zu bestrafen. In beiden Fällen handelt es sich aber nur um eine Kriminalisierung der Frauen durch die Hintertür.
  • Abtreibungs- und Prostitutionsgegner weisen immer wieder auf die unverhältnismäßig große Zahl an armen oder schwarzen Frauen hin, die abtreiben/in der Sexarbeit tätig sind. Damit wollen sie beweisen, dass Abtreibung und Sexarbeit Formen rassistischer und klassistischer Gewalt sind. Eigentlich beweisen sie aber, dass armen und schwarzen Frauen aufgrund systematischer rassistischer und klassistischer Benachteiligung in unserer Gesellschaft weniger andere Optionen zur Verfügung stehen.
  • Abtreibungs- und Prostitutionsgegner weisen immer wieder darauf hin, dass einige Frauen zur Abtreibung/Sexarbeit gezwungen werden. Damit wollen sie zeigen, dass beides verboten gehört. Sie ignorieren aber, dass eine Kriminalisierung es viel schwieriger machen würde, diese Fälle von Zwang überhaupt erst zu entdecken.
  • Keine gegenwärtig aktive Sexworkerin und keine Frau, die gegenwärtig eine Abtreibung benötigt, sprechen sich für ein Verbot aus.
  • Abtreibungs- und Prostitutionsgegner betrachten Abtreibung/Sexarbeit als Gewalt gegen Frauen und nehmen es als Beispiel für die patriarchale Kontrolle über Frauen her.
  • Abtreibungs- und Prostitutionsgegner verwechseln Prohibition und Abolition. Prohibition schafft es nicht, die Zahl der Frauen, die Abtreibungen vornehmen lassen und die Zahl der Frauen, die in der Sexarbeit tätig sind, zu senken. Prohibition erhöht dagegen das Maß an Leid, das ihnen zuteil wird.
  • Abtreibungs- und Prostitutionsgegner weigern sich, Methoden der Schadensbegrenzung anzuwenden, obwohl es die einzigen sind, die bewiesenermaßen helfen.

Der einzige Grund dafür, dass es eine feministische „Debatte“ um die Kriminalisierung von Sexarbeit gibt, aber nicht um die Entkriminalisierung, Schadensbegrenzung oder Verfügbarmachung alternativer Optionen, ist der, dass es so unwahrscheinlich ist, dass privilegierte Frauen ihren Lebensunterhalt durch Sexarbeit sichern. Privilegierte Frauen können es „sich leisten“, sich auf ihre Ekelgefühle und Gelüste nach Kundenbestrafung zu konzentrieren, weil es nicht ihre Existenz ist, die auf dem Spiel steht.

Kommentar zur Übersetzung

Sexarbeit, um des Überlebens Willen: Lori verwendet in ihrem Text den Begriff „survival sexwork“, der schwierig ins Deutsche zu übersetzen ist. Hier hört man öfter von „Armutsprostitution“, was in die richtige Richtung geht, aber innerhalb der Debatte leider komplett von den Antis besetzt ist. Sie verwenden den Begriff, um zu beweisen, dass die Entscheidung, sich zu prostituieren, immer unter Zwang geschieht, ignorieren aber, dass nach dieser Interpretation von Zwang nahezu jede Arbeit, der man aus ökonomischen Gründen nachgeht, Zwangsarbeit oder Armutsarbeit wäre. Ich verwende daher Formulierungen wie „um des Überlebens Willen“ oder „für den Lebensunterhalt“ oder „zur Lebenserhaltung“. Dies betont allerdings nicht, dass es hier tatsächlich um ökonomische Zwänge und systematische Benachteiligung geht. Gemeint ist Sexarbeit aus Existenzangst und Mangel an Alternativen, bspw. um nicht die Wohnung zu verlieren oder Hunger zu leiden. Sexarbeit ist m.E. auch in diesem Falle eine legitime Entscheidung und mir erschließt sich nicht, warum diejenigen, die in unserer Gesellschaft ohnehin kaum Optionen haben, durch Verbote auch noch dieser letzten Option beraubt werden sollten, geschweige denn, wie es ihnen helfen und warum sie dankbar für ihre „Rettung“ sein sollten.


 
 
 

2 Kommentare zu “Parallelen von Abtreibung und Sexarbeit”

  1. Solveig Senft
    12. April 2014 um 13:51

    Wir haben nicht gegen den § 218 gekämpft, damit Frauen abtreiben „dürfen“. Jede Abtreibung ist auch eine Zumutung und schmerzhaft. Wir haben dagegen gekämpft, weil Frauen die kinder austragen und weitgehend großziehen – in unserer patriarchalischen Gesellschaft auf Kosten z.B. ihrer Berufstätigkeit, ökonomischen Unabhängigkeit und politischen Teilhabe. Sie sollen und müssen daher alleine die Entscheidung haben, ob sie ein Kind austragen können und wollen oder nicht. Niemand sonst. auch nicht „Freier“ „Zuhälter“ und sonstige Profiteure am Verkauf weiblicher Körper zur sexuellen Benutzung. Ihre Argumentation „hinkt“ auch hinsichtlich der „Freiheit“ von prostituierten Frauen.Sie schreiben richtig, die Ursache von Prostitution sind ökonomische Not und Mangel an Alternativen. Und dann plädieren Sie für „Prostitution“ als Alternative. Was für ein Unsinn! Mädchen und Frauen sollen das Recht auf eine gute Ausbildung, einen Beruf, in dem sie sinnvolle Arbeit leisten können und ökonomisch unabhängig sind, finanzielle Absicherung für Kindererziehungszeiten bzw. endlich eine faire Arbeitsteilung hier zwischen Vätern und Müttern, Männern und Frauen erhalten. Frauen haben auch sexuelle Bedürfnisse. Wir haben mal dafür gekämpft, dass wir diese auch leben können. In der Prostitution sind diese Bedürfnisse nicht „gefragt“, im Gegenteil. Hier wird sexuelle Benutzung von Frauen gekauft – Mißbrauch mit einem häufig eher kargen „Schmerzensgeld“ „entlohnt“. Wie können Sie das als wünschenswert und emanzipatorisch umdeuten?

  2. carmen
    12. April 2014 um 15:47

    Ich plädiere nicht für Prostitution als Alternative, sondern als Option. Wenn ich die Option habe entweder meine Wohnung zu verlieren oder Hartz IV zu beziehen oder mich zu prostituieren, dann ist es legitim, wenn ich mich für die Prostitution entscheide. Frauen sind in der Lage, solche Entscheidungen zu treffen. Es braucht keinen Vater Staat, der sie davor bewahrt. Zumal Vergewaltigung, Sex mit Kindern, Zuhälterei, Ausbeutung von Prostituierten und Menschenhandel ohnehin bereits verboten sind und Prostitutionsverbote somit lediglich auf die konsenuellen Sexualkontakte zwischen Erwachsenen abzielen.

    Natürlich müssen wir gleichzeitig für geschlechtergerechte Ausbildungs-, Anstellungs- und Migrationsmöglichkeiten, Arbeitsteilung, Entlohnung, etc. kämpfen. Wir leben noch lange nicht in einer Welt, in der alle Menschen gleiche Chancen haben. Wir erreichen diese nicht, indem wir sagen „es sollte geben…“ und auch nicht durch Prostitutionsverbote. Dagegen berauben wir uns durch letztere der Option, uns für Sex entlohnen zu lassen. Wir Frauen sind dann gezwungen, unsere Körper kostenlos „benutzen zu lassen“, wie Sie es ausdrücken. Wir sind dann nicht mehr nur unentlohnt für die Kinderbetreuung, die Erziehung, den Hausputz und das Mittag zuständig, sondern auch für die sexuelle Befriedigung der Ehemänner. Wie können Sie das als wünschenswert und emanzipatorisch umdeuten?

    Zum Thema „Emanzipation und Sexarbeit“ lesen Sie auch:
    http://courtisane.de/blog/?p=785
    Zum Thema „Verkauf von Frauenkörpern“ lesen Sie auch:
    http://courtisane.de/blog/?p=771

Kommentar abgeben:

 Turing-Test:


Weiterführende Links