Ich bin keine Ware!
Die Wiesbadener Stadtverordnete, Manuela Schon (LINKE), ist eine glühende Prostitutionsgegnerin. Auf Twitter geraten wir des Öfteren aneinander. Einer sachlichen Diskussion verweigert sie sich bist heute – entweder mit der Begründung, ich sei respektlos oder mit der Empfehlung, lieber ihre Artikel zu lesen, in der sie ja alles schon ausführlich erklärt hätte. Das habe ich getan. Und das ist es, was ich ihr dazu zu sagen habe:
Liebe Manuela Schon!
Ich bin keine Ware! Wie du Sexarbeiter in deinem Artikel Die Frau verkauft nicht sich selbst entmenschlichst, verdinglichst und pathologisierst, ist respektlos und entwürdigend, weder links, noch feministisch.
Sex wird durch diese Definition vom Selbst getrennt und zum Produkt, einer Ware, einem Ding gemacht. Aber das funktioniert nicht, nicht mal bei Gegenständen. So bleibt Holz, welches zu einem Tisch verarbeitet wird immer noch Holz, obwohl die Form verändert wurde.
Im Falle der Prostitution ist Sex keine Ware im materiellen Sinne, sondern eine nicht-gegenständliche Dienstleistung und somit weder mit Holz, noch mit einem Tisch zu vergleichen. Die Wikipedia definiert eine Dienstleistung als eine „von einer natürlichen oder juristischen Person zu einem Zeitpunkt oder in einem Zeitrahmen erbrachte Leistung zur Deckung eines Bedarfs“, in deren Mittelpunkt nicht die materielle Produktion steht. Wir Sexarbeiter verstehen uns deshalb als Dienstleister. Die Verdinglichung von Sex, die du dem Kapitalismus vorwirfst, müßtest du dir selbst zu Lasten legen. DU behauptest, Sex sei ein Ding und seine Anbieterin eine Ware.
Man will uns weismachen Sex sei ein Produkt welches man auf dem Marktplatz verkaufen kann, irgendwie freischwebend, losgelöst vom Körper. Aber das ist de facto nicht möglich: Sex funktioniert nur mit einem Körper aus Fleisch und Blut. Die „Sexarbeiterin“ muss also präsent sein, aber so tun als sei sie es nicht.
Die Sexarbeiterin muß zur Erbringung ihrer Dienstleistung ebenso präsent sein, wie ein Arzt, ein Friseur, ein Masseur, ein Anwalt, etc. zur Erbringung seiner Dienstleistung präsent sein muß. In unserem Falle ist die Körperlichkeit der Präsenz sogar ein zentrales Element. Mit einen Apfelkuchen zu kopulieren, wäre preiswerter, aber das wollen meine Kunden nicht. Sie bezahlen dafür, dass ich es bin, eine Frau aus Fleisch und Blut, die mit ihnen interagiert. Die Behauptung, ich müsse so tun, als sei ich während des Aktes nicht anwesend, ist ein Vorurteil, das von Leuten propagiert wird, die selbst keine Erfahrungen in der Branche haben. Ich habe nie so getan, noch wurde das jemals von mir verlangt.
Zahlreiche Prostituierte berichten davon wie sie während der Prostitution in Gedanken in eine andere Realität flüchten, dass sie es ohne diese Strategie nicht aushalten würden, sich schmutzig fühlen oder zugrunde gehen würden.
Während des Sexualaktes „in eine andere Realität“ zu flüchen, ist unter vielen Menschen verbreitet, egal in welchen Berufen sie arbeiten. Ich denke z.B. oft an Tentakel und Sperma während ich masturbiere. Es soll sogar Ehefrauen geben, die ihren Ehemännern Orgasmen vortäuschen, damit sie schnell wieder die Dinge tun können, die sie eigentlich gerade tun wollten. Dass Menschen sich in sexuellen Kontexten „schmutzig“ fühlen, hat etwas mit der gesellschaftlichen Tabuisierung von Sex zu tun. In den 50er Jahren, haben sich Männer bspw. mit Elektroschocks therapieren lassen, weil sie sich aufgrund ihrer Homosexualität schmutzig fühlten. Sich schmutzig zu fühlen, macht einen Menschen dennoch nicht zu einem Ding.
Die meisten Frauen, die eine Körperzone für Tabu erklären, tun dies um einen Teil von sich selbst für sich zu behalten und einen kleinen Rest von Intimität, die jeder Mensch braucht, zu bewahren. Prostituierte entwickeln mit der Zeit zwei Identitäten: Das Selbst und das prostituierte Selbst. Auch andere Personen, die mit Prostitution in Berührung kommen erleben ähnliches…
Ich empfinde es als intimer, einem Fremden Menschen meine Schwächen oder Defizite zeigen zu müssen, als mit ihm Sex zu haben. Dass jeder Mensch Sex als gleichsam intim empfindet, ist ein Mythos, der individuelle Intimitätskonzepte völlig ausblendet. Für Kajsa Ekis Ekman sind Huren und Menschen, die mit Huren zu tun haben, offenbar defizitär, gespaltene Persönlichkeiten, Kranke, die sie pathologisieren muß. Sie negiert dadurch ihre individuellen, subjektiven, menschlichen Erfahrungen, Entscheidungen, Gefühle und Verhaltensweisen. Sie verdinglicht und objektifiziert Menschen, ohne zu hinterfragen, wieviel Leid sie selbst dadurch verursacht.
Kajsa Ekis Ekman vermutet, dass auch das Narrativ der Sexworker_innen ein Weg ist um Prostitution von sich fern zu halten. […] Wir sprechen darüber, interpretieren sie, deuten sie um, idealisieren sie, spekulieren über sie – aber wir lassen sie nicht an uns ran.
Ein Euphemismus: Prostituierte „debattieren“ nicht über Prostitution, sondern sie kämpfen für ihre Menschen-, Bürger- und Berufsrechte – und zwar weil ihr nacktes Überleben davon abhängt. In einer Gesellschaft, in der Frauen (Alte, Kranke, Arme, Fremde, Homosexuelle, …) systematisch unterdrückt werden, kämpfen sie dagegen, dass sie auch noch ihrer letzten Option, eigenes Geld zu verdienen, beraubt werden. Sie kämpfen gegen ihre Illegalisierung und Kriminalisierung – für die Anerkennung ihrer Menschenwürde. Weiße, privilegierte Pseudo-Feministinnen verstehen das deshalb nicht, weil es nicht ihre Existenz ist, die auf dem Spiel steht. Sie können es sich leisten, über Verbote zu philosophieren, weil sie nicht davon betroffen sind.
Prostituierte Personen die „Sexarbeit“ im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung verteidigen ziehen eine klare Trennlinie zwischen diesen Auftritten und ihrer Arbeit: Auf deren Webseiten […] kann man nichts über ihre Angebote erfahren, man kann sie nach Fernsehauftritten nicht auf ihre Preise ansprechen.
Das liegt einerseits daran, dass es uns nach §§ 119 – 120 OwiG verboten ist, unsere Dienstleistungen zu bewerben und sich viele Anbieter_innen aufgrund von Rechtsunsicherheit davor fürchten. Andererseits warnen natürlich auch Fernsehanstalten sehr explizit davor, ihre Sendung für Werbezwecke zu mißbrauchen. Obwohl ich in der öffentlichkeit als Sexarbeiterin auftrete, finden sich auf meiner Website bspw. sowohl Preise als auch Beschreibungen meines Angebots. Das liegt daran, dass ich es mir als privilegierte, weiße Prostituierte mit deutscher Staatsbürgerschaft und akademischer Bildung im Gegensatz zu vielen meiner Kolleg_innen leisten kann, im Zweifelsfall vor Gericht zu ziehen und für meine Rechte als Einzelunternehmerin zu streiten.
Auch wenn Sexualität zu einer Ware wird, wird dadurch nicht automatisch Prostitution zur Arbeit. Genauso wenig wie das Geld welches in ihr verdient ist, nicht normales Geld ist.
Verdammt, hätte ich das früher gewußt. Ich Dummchen zahle die ganze Zeit Steuern für dieses Nicht-Geld (scnr). Prostitution wird deshalb nicht zur Arbeit, weil es eine nicht geringe Zahl an Menschen gibt, die sich weigert, sie als Arbeit anzuerkennen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Huren stigmatisiert und an überholten Geschlechterrollen festhält: Wenn ich das Arbeitsamt um Vermittlung bitte und die mir tatsächlich helfen, dann verursache ich einen Medien-Skandal. Konsensueller Sex unter Erwachsenen gegen Geld wird nicht als legitime Option akzeptiert. Es fällt uns aufgrund unserer sozialisierten Sexualmoral schwer, Sex als etwas von Liebe und Zuneigung Unabhängiges zu betrachten, das auch für sich genommen Wert hat. Prostitution ist deshalb keine Arbeit, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Man bezeichnet es oft als „Monopoly-Geld“ oder auch „schmutziges Geld“. Es wird genauso schnell ausgegeben wie es eingenommen wird, weshalb viele prostituierte Frauen nicht reich aus der Prostitution heraus kommen, obwohl sie selbstbestimmt und ohne Zuhälter arbeiten (ein gutes Beispiel wäre Domenica, die „Königin der Reeperbahn“)
Nein, nicht „man“ bezeichnet es so, sondern du tust es. Aber mal ehrlich, die Verdienstmöglichkeiten in der Prostitution sind überschätzt. Es funktioniert hier ähnlich wie in der Kunst- oder Musikbranche: Es gibt einige, wenige Stars, die sich eine goldene Nase verdienen. Die meisten haben hingegen geringe Einkünfte und müssen mit Hartz IV aufstocken. Insbesondere migrantische Sexarbeiter_innen geben von dem hart verdienten Geld hohe Summen an Mittelsmänner ab, weil sie aufgrund der rechtlichen Komplexität von Einreise und Prostitutionsregulierung darauf angewiesen sind, wenn sie legal arbeiten wollen. Davon, so reich zu sein, dass wir mal eben 3 Mios auf unserem Schweizer Bankkonto vergessen, träumen wir.
Das Abspalten der Persönlichkeit ist nicht nur ein Abwehrmechanismus, es ist gefährlich. Medizinisch spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung, unter der prostituierte Personen in gleichem Maße leiden wie Kriegsveteranen oder Folteropfer (siehe Farley-Studie).
Es wird fleißig weiterpathologisiert: Obwohl Prostituierte angeblich gleichermaßen unter PTBS leiden wie Soldaten, wird das Verbot, sich als Soldat zu verdingen, nicht mit derselben Vehemenz gefordert wie das Prostitutionsverbot. Warum sind es immer wieder Frauen und die von Frauen ausgeübten Berufe, die infrage gestellt werden? Warum sind es immer wieder sexuelle Kontexte, die reguliert und beschränkt werden sollen? Weil wir in einer Gesellschaft leben, die Frauen und Sex systematisch unterdrückt. Prostitutionsverbote sind kein Mittel dagegen, sondern ein Ausdruck davon. Warum uns Sexarbeiter das zu einer Ware machen sollte, erschließt sich mir nicht.
Deshalb ist Prostitution keine Arbeit wie jede andere.
Nein, Prostitution ist deshalb keine Arbeit wie jede andere, weil sie mit Sex zu tun hat, was tabuisiert wird und weil sie überwiegend von Frauen ausgeübt wird, die unterdrückt sind. Deshalb genießen Sexarbeiter_innen auch nicht dieselben Rechte wie alle anderen Arbeiter_innen, weil man sie ihnen nicht zugesteht. Während für alle Erwerbstätigen die Abgabenordnung gilt, gilt für uns das Düsseldorfer Verfahren. Während für alle Gewerbe die Baunutzungsverordnung gilt, gilt für uns die Sperrgebietsverordnung. Während für alle Arbeitnehmer das Arbeitsschutzgesetz gilt, gilt für uns der Kondomzwang nach Hygieneverordnung. Während für alle Bürger das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt, gilt für uns § 104 StPO. Eine Tätigkeit, die rechtlich und gesellschaftlich nicht gleich behandelt wird, wird von dieser Gesellschaft logischerweise nicht als „normal“ betrachtet und wird ergo auch nie diesen Status erreichen. Wiederum: Sexarbeit ist deshalb keine Arbeit wie jede andere, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Was den Freier angeht wünscht dieser sich, dass die Prostituierte ganz da ist, eine Frau die nicht so tut als wäre es Arbeit für sie.
Der gemeine Freier existiert nicht. Auch Freier sind Menschen mit individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen. Im Begriff „Freier“ findet wiederum eine unzulässige Verdinglichung und Entmenschlichung statt. Es handelt sich um Kunden sexueller Dienstleistungen. Auch sie werden diskriminiert und entwertet. Auch ihre Bedürfnisse werden auf den Aspekt der Not reduziert, genauso wie es bei den Anbieter_innen geschieht. Wenn es heißt, Freier hätten es nötig für Sex zu bezahlen, dann spricht daraus eine tiefe sexistische Sozialisierung: Wenn er in dieser Gesellschaft etwas wert sein will, hat der Mann die Frau kostenlos rumzukriegen, durch Eroberung und Heldentat ihr Herz zu gewinnen. Der Mann, der das nicht schafft oder sich weigert, das Spiel mitzuspielen, muß demzufolge ein Versager, ein Ekel, ein Perverser sein.
Wie kann das alles noch gesteigert werden?
Durch ein Prostitutionsverbot, denn die Kriminalisierung würde widerspenstige Huren, die es wagen, sich als Dienstleister zu emanzipieren und gegen ihre Unterdrückung aufzubegehren, effektiv mundtot machen. Es würde den unterschwelligen Hurenhass, der aus Texten wie diesem spricht, wieder salonfähig machen. Niemand müßte dann mehr so tun, als wären Huren Menschen, als hätten sie, egal welche Not sie trieb, ein Recht auf Rechte. Man könnte sie ohne Skrupel nicht nur als Ware, als Ding bezeichnen, sondern sie auch so behandeln.
Leider beweist mir dein Text nicht, dass ich Ware bin, sondern dass du mich als Ware betrachtest und Sexarbeiter gerne so sehen willst. Wenn deinesgleichen dann mit Fakeln und Transparenten aufzieht, auf denen „Die Frau ist keine Ware“ geschrieben steht, erscheint es uns Sexarbeitern wie purer Hohn. Es ist eine unverschämte Respektlosigkeit. Denn nicht der Kapitalismus, nicht die Freier, nicht unser Job entmenschlichen und verdinglichen uns. Leute wie ihr tun es!
Follow Up
Da Manuela sich mit der Begründung, ich solle meinen Lobbyismus doch nicht in ihrem Blog verbreiten, weigert, meinen Follow-Up Kommentar zu veröffentlichen, tue ich es nun doch auch hier. Ich denke, ein solches Verhalten zeigt, wie sich Prostitutionsgegner beharrlich dagegen wehren, sachliche, begründete Diskussionen zu führen. Ihr Standpunkt ist ein fundamentalistischer, ein Glaubensinhalt, weil es ihnen an Argumenten mangelt. Offenbar traut Manuela ihren Lesern nicht zu, sich selbst eine Meinung zu bilden, weshalb sie in ihrem Blog nur eine einzige Meinung, nämlich ihre, zulassen kann.
Sie antwortet:
Schöner langer Text, aber leider nicht überzeugend. Nicht „wir“ stigmatisieren – sonderen die Sexkäufer tun das. Eindrucksvoll nachzulesen in allen Freierstudien, die es gibt, ob Farley, Gerheim oder welche auch immer.
So lange Sexkäufer Frauen objektifizieren ist es müßig über Stigma zu diskutieren. Hier mal ein paar schöne Aussagen aus der Farley-Studie (exemplarisch)
„Being with a prostitute is like having a cup of coffee, when you‘re done, you throw it out.“
„The relationship has to stay superficial because they are a person and you’re capable of getting to know them. But once you know them, it’s a problem, because you can’t objectify them anymore“
„She is just a biological object that charges for services.“
„If someone is addicted to going to prostitutes, he might lose sense that a woman has feelings“
Die Ergebnisse der Studie in der Sexkäufer mit Nichtsexkäufern verglichen werden sind leider bitter, eine Zusammenfassung findet sich hier: http://abolition2014.blogspot.de/2014/04/sexkaufer-und-nichtkaufer-sind.html
Da helfen auch Romane nicht weiter: Das Gros der Sexkäufer sieht Prostituierte nicht als Menschen, sondern als Objekte an, mit denen sie machen können was sie wollen.
Bitte habe Verständnis dafür, dass Feminist_innen gegen diese Misogynie eintreten.
Ich antworte:
Du schreibst einen 7000 Worte umfassenden Artikel, der „beweisen“ soll, dass Sexarbeiter Objekte sind. Obwohl der Blog „Frauen sind keine Ware“ heißt, behauptest du, Sexarbeiterinnen seien Ware. Du vergleichst uns mit Holz oder Tischen, mit Dingen. In welcher Weise objektifizierst du uns nicht? Wo bist du besser als die oben Zitierten? Du bist ihnen moralisch nicht überlegen, im Gegenteil, du versuchst deiner Menschenverachtung noch einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Auf dieselbe Weise gehen Sympathisanten der sogenannten „Reparativtherapie“ vor.
Was Melissa Farley betrifft, so sind ihre Arbeit und ihre Methoden unter Wissenschaftlern stark umstritten. Eine gut argumentierte Kritik kann man z.B. bei Ronald Weitzner „Flawed Theory“ nachlesen: http://www.gwu.edu/~soc/docs/Weitzer/Flawed_Theory.pdf Inzwischen werden sogar Stimmen laut, Farley die APA-Mitgliedschaft zu entziehen: http://maggiemcneill.files.wordpress.com/2011/07/complaint-to-apa-re-melissa-farley.pdf
Ähnliches könnte man im Falle Kajsa Ekis Ekman anführen. Die Frau ist nicht einmal Psychologin, sondern Literaturwissenschaftlerin. Ich weiß überhaupt nicht, wie sie dazu kommt, ein Buch über Sexarbeit zu schreiben oder uns Sexarbeiter zu pathologisieren. Ich selbst habe u.a. einen akademischen Abschluß im Fach Literaturwissenschaft. Ich bin darüber hinaus selbst Sexarbeiterin. Ich habe überhaupt keine Skrupel, Frau Ekmans Thesen infrage zu stellen.
Und was die Tasse Kaffee im ersten Zitat deines obigen Kommentars betrifft: Ich nehme auch deshalb Geld für Sex, weil mich die Kunden danach wieder „rauswerfen“. Das bedeutet nämlich, dass auch sie in ihr eigenes Leben zurückkehren und trotz des Sex keine weiteren Ansprüche auf mich erheben. In einer Gesellschaft, die Sex und Liebe habituell nicht trennt, wird von Sexualpartnern erwartet, dass sie spätestens nach dem Akt (insbesondere, wenn es sich dabei nicht um einen After-Party-ONS in besoffenem Zustand handelt, worauf ich selbst nicht stehe) irgendeine Form emotionaler Bindung eingehen. Verweigert man sich einer solchen Bindung, führt das zu Konflikten. Die Reaktionen reichen von „Magst du mich etwa nicht?“ bis zu „Du Schlampe fickst doch sowieso jedem!“ In derartige Probleme bin ich nach bezahlten Dates nie gelaufen. Sexualkontakte werden durch den Austausch von Geld unverbindlicher – das kann man durchaus als Vorteil und Mehrwert betrachten.
Ach ja, eins habe ich noch vergessen: Anhand von Aussagen in „Freierforen“ zu „beweisen“, wie Kunden sexueller Dienstleistungen im Allgemeinen „ticken“, ist ungefähr so, wie anhand von Aussagen auf 4chan zu beweisen, wie Menschen im Allgemeinen ticken.
18. April 2014 um 11:50
Frauen sind keine Ware
Ich würde den Beitrag gern aus Sicht eines Mannes kommentieren, der seit 10 Jahren regelmäßig Bezahlsex in Anspruch nimmt. Habe den gleichen Kommentar auch bei dem Original Blog eingestellt, aber bin nicht sicher, ob er dort freigeschaltet wird.
Kurz zu mir: bin knapp 50 Jahre alt, gehe im Jahr ca. 40 mal in FKK Klubs und bin sexuell „normal“, habe also keine ausgefallenen Wünsche.
Stellung nehmen möchte ich zu den Aussagen über die „Freier“, die Frauen im Gewerbe nennen uns „Gäste“, was mir lieber ist.
Sexkäufer trennen ihr Freiertum vom Rest ihrer Existenz
Das funktioniert bei mir nicht. Ich suche die Normalität, ungezwungenen Sex als gemeinsames Erlebnis. Das klappt recht gut und hat Auswirkungen auf das normale Leben. Da die Frauen in den Klubs sehr attraktiv, jung und erotisch sind, habe ich mich jahrelang im „real life“ nicht mehr binden können, aus Mangel an Interesse. Seit letztem Jahr habe ich eine sehr attraktive Freundin, die ich auch heiraten möchte. Seitdem gehe ich auch nicht mehr zu Huren, behalte diese aber in angenehmer (teils liebevoller) Erinnerung.
Während Prostitution früher eine schnelle Nummer, mit runtergelassenen Hosen war, so wird sie heute immer intimer. Die Prostituierte soll so tun als sei sie die Freundin, mit Küssen …
Das ist richtig. Ich gehe meist ganztägig in FKK Klubs. Dort sind die Frauen wie die Männer zahlende Gäste und der Betreiber stellt die Infrastruktur. Das Ganze hat einen extrem hohen Wohlfühlfaktor, denn die Menschen dort schauen zusammen Fußball (Sky Sport läuft immer), saunieren, schwimmen etc. Im Schnitt gehe ich bei einem etwa 10stündigen Aufenthalt 3x mit einer Frau aufs Zimmer. Nach dem Zimmergang wird abgerechnet, wobei das nur zwischen der Frau und ihrem Gast geschieht, der Betreiber ist nicht in die Umsätze involviert.
Ich erhoffe mir diesen Girlfriendsex, weiß aber, dass man den verbal nicht beschreiben kann, also nicht direkt kaufen kann. Darum achte ich bei Kontakten mit den Frauen auch darauf, ob die Chemie stimmt. Falls das Erlebte schön war, werde ich gern auch zum Stammgast, der immer wieder mit der Frau Zeit verbringt.
Der Markt verlangt nach immer mehr Expansion:
70er Jahre: Oralverkehr wurde Normalität …
Im Klub gibt die Frau den Service vor. Wenn ich als Mann mehr verlange, lehnt sie ab oder verlangt einen Aufpreis. Was mich angeht, würde ich keine der nach den 70er Jahren gelisteten Praktiken machen wollen, dazu bin ich zu normal und brauche keine speziellen Steigerungen, der normale Sex ist schön und ästhetisch genug.
Männer, die Frauen im Klub brutal behandeln oder schon im Klub selber durch aggressives Verhalten auffallen, werden meist direkt von der Klubleitung entfernt. Gleiches gilt für Frauen, die ihre Gäste systematisch abzocken.
Warum funktionert diese Form des Paysex?
Ganz einfach. Der Mangel des Einen ist der Überfluss des Anderen. Leute wie ich haben mehr Geld als sie brauchen, die Huren wollen schnelles Geld, meist für eine Kombination von Luxusgütern und sinnvollen Investitionen wie Studium oder Immobilienwerb. Der Mann kann zwanglos sehr schönen Sex mit attraktiven Frauen haben und jung, attraktiv und erotisch sind die Huren in den Klubs.
18. April 2014 um 12:32
Kleine Verständnisfrage:
> Die Linke Stadtverordnete, Manuela Schon, ist eine glühende
> Prostitutionsgegnerin.
Stadverordnete welcher Stadt? Vielleicht sollte das noch in den Satz mit rein.
20. April 2014 um 20:50
@Anvil: Wobei ich es auch nicht „unnormal“ oder „pervers“ finde, wenn ein Kunde auf Anal- oder Oralverkehr steht. Was ich selbst nicht mag, biete ich nicht an. Aber da ich selbst insgesamt ziemlich kinky bin, habe ich durchaus Verständnis für kinky Kundenwünsche. Genau das macht das Verhältnis zwischen Anbieterin und Kunde m.E. auch attraktiv. Mit der Frau/Freundin kann man ggf. nicht so ungezwungen über die eigenen Fantasien sprechen. Man läuft Gefahr, verlassen zu werden, weil man für zu „pervers“ gehalten wird. Schmeißt die Anbieterin den Kunden raus, weil sie ihn aufgrund seiner Neigungen für „zu pervers“ hält, scheitert ein Date und keine auf Dauer angelegte Liebesbeziehung.
@Kommentor: Wait… let me google that for you.
Wiesbaden ;)
21. April 2014 um 00:07
Die Fr. Schon hat meinen Beitrag zwar freigeschaltet, aber als Realsatire abgetan. :-((
In dem Artikel gibt es Punkte, die krass falsch sind und uns Männer betreffen:
1. Wir betrachten Huren nicht als Objekte
Natürlich nicht. Es ist einfach schön, mit einer attraktiven und lieben Frau Sex zu haben, das gehört zu den angenehmsten Momenten im Leben. Die Hure ist eine Frau und kein Objekt.
2. Der Mann macht was er will mit der Frau
Absolut nicht. Die Frau hat einen Service, hat Grenzen und der Mann das zu respektieren. Das klappt meist ganz gut, in den Klubs, in denen ich verkehre, wird ein Mann mit Hausverbot belegt, wenn er Gewalt gegenüber den Frauen ausübt.
zu den Techniken: Oral hatte ich noch mitgenommen, das gehört einfach dazu. Aber alles danach aufgezählte ist speziell und für Minderheiten interessant. Den meisten Männern reicht der ungezwungene Standardsex mit Küssen, Blasen, Zärtlichkeit und Verkehr mit Kondom.
21. April 2014 um 01:51
:) Dann nenn es halt „Vollständigkeitshinweis“ statt Verständnisfrage. Es ist für die „Informationen aus einem Guß“ immer gut, wenn man sich naheliegende Details nicht suchen muß.
22. April 2014 um 13:28
Liebe Carmen
Ich finde Deinen Kampf für Sexworkerinnen bemerkenswert, weil er auch aufzeigt, welche Moralvorstellungen wir in der Gesellschaft bzgl. Liebe und Sexualität haben. Die perfekte Beziehung, wo Liebe, Alltagsverträglichkeit, tiefes Verständnis und gleiche Sexualität zusammen kommt, gibt es wohl äusserst selten, bzw. gar nicht.
Vielleicht wären Partnerschaften langfristig besser aufgestellt, wenn wir gewisse Dinge trennen würden und nicht im nächsten Abenteuer den Kick suchen. Das Neue ist immer spannender, da unbekannt.
Gruss
jabadabidoo
23. April 2014 um 12:49
@Anvil: Ja, aus den undifferenzierten Worten einer Manuela Schon spricht viel Menschenverachtung, nicht nur Verachtung für Sexarbeiter, sondern vor allem auch Verachtung für Kunden. Das tut weh, ich weiß, wovon ich spreche. Aber wir können dieser Menschenverachtung nur begegnen, indem wir diejenigen aufklären, die noch nicht fundamentalistisch missioniert wurden, die offen für differenzierte Betrachtungen sind und die nur deshalb diese Vorurteile blind übernehmen, weil Prostitution nicht Teil ihrer Lebenswirklichkeit ist.
@Kommentor: Ich hab’s für dich ergänzt.
@jabadabidoo: Zumindest weiß ich nicht, ob wir alles, was wir begehren undbedingt in ein und demselben Menschen suchen und finden müssen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind so facettenreich. Warum müssen wir sie immer in vorgefertigte Korsagen wie „Ehe“, „Liebespaar“, „Affaire“, „Ex“, „Friend-Zone“ zwängen? Warum können wir ihnen nicht freien Lauf lassen, sich zu entfalten, sich ungezwungen zu entwickeln, ganz individuell, wie die Menschen, die an ihnen beteiligt sind?
23. April 2014 um 17:17
@Carmen, ich glaube, dass das genau der wunde Punkt ist, warum sich so viele mit deiner Rolle und Deinen Argumente schwer tun. Du passt so überhaupt nicht in ihre Denkschemata.
Du durchbrichst ihr Rollenbild (Ware Frau, Armutsprostitution, etc.), das es so einfach macht, eine klare Meinung über Prostitution zu haben und diese deshalb zu verteufeln. Bei Dir funktioniert das einfach nicht. Du bietest eine Dienstleistung an, für die es sich nicht gehört, gekauft zu werden, aber ein Markt besteht.
Was ich bei Dir cool finde, ist die Verbindung von Intelligenz, Stil und Kinkyness. Das ist Emanzipation von den klassischen Clichés oder Rollen, von alten Rollenbildern wie der treuen Ehefrau/Liebhaberin, aber auch von modernen. Keep on fighting.
25. April 2014 um 10:54
@carmen: was außerhalb der kleinen Filterbubble von Huren und ihren Gästen kaum jemand wahrhaben will ist, dass der Sex im Konsens erfolgt und das die Frau bzgl. des Geschehens den Lead hat. Die Frau bietet IHREN Service, wenn der Mann etwas Anderes will, kann er das nicht erzwingen und versucht das auch nicht.
In der Öffentlichkeit wird nie dargestellt, wie normal so ein Sexklub ist. Die Frauen dort sind nicht übertrieben aufgetakelt, sondern junge, hübsche Mädels, die Männer sind meist ganz normale Typen, die sich das Vergnügen leisten können.
In den vielen Klubs, die ich besucht habe, wurde auch nie aggressivies oder brutales Verhalten geduldet.
Ich denke, dass die Gesellschaft Angst hat vor der Tatsache, dass es ein Liebesleben außerhalb der monogamen Zweierbeziehung gibt.
25. April 2014 um 19:37
@jabadabidoo: Meiner Erfahrung nach durchbrechen ganz viele Kolleg_innen das Klischee-Rollenbild. Nur trauen sich die meisten nicht, es so offen nach außen zu zeigen. Es sind ja mit dieser Offenheit Risiken für Leib und Leben verbunden. Jeder, der schon mal vor dem Problem eines Outings stand, kennt die damit verbundenen Ängste. Ich habe den Vorteil, dass ich Freunde und Familie habe, die ausreichend hinter mir stehen, als dass ich es mir leisten kann.
@Anvil: Ja, mit dem Monogamie-Ideal sprichst du einen wichtigen Aspekt an. Aus demselben Grund gibt es in der Queer-Community bspw. Aktivisten, die die Schließung von Darkrooms predigen – weil die ja dem ungehemmten Sex mit Fremden und Seitensprüngen dienen. Die Angst davor ist groß und dementsprechend stark ist die Abwehrhaltung.
19. Mai 2015 um 09:20
Hallo Carmen,
ich bin über Deine Kommentare im „netzpolitik.org“-Artikel zum geplanten Prostitutionsüberwachungsgesetz hierher gekommen – und wenn ich einmal da bin, will ich auch mal meinen Senf dazugeben.
Ich habe (als Kunde) auch schon einige Jahre Erfahrung mit der Branche. Ist bei mir berufsbedingt – wenn man von Montagetätigkeit zu Montagetätigkeit geschickt wird und nie weiß, wann man wie lange wo ist, wenn man nur ab und an spontan „nach Hause“ kommt, um den Briefkasten auszuräumen und Wäsche zu waschen, kann man Beziehungen oder gar Familienleben komplett vergessen. Das macht kein (potentieller) Partner länger als ein paar Wochen mit. Welche Optionen bleiben da noch, wenn man einfach mal wieder nicht allein im Bett liegen will? Und nein, da geht es (zumindest mir) noch nicht mal um den „Druckabbau“, sondern schlicht darum, einen anderen Menschen zu fühlen.
Unter den Umständen sind die Möglichkeiten doch ziemlich eingeschränkt.
Andererseits: Es braucht keine Rechtfertigungen á la „Sorry, mir ist kurzfristig etwas dazwischen gekommen.“, „Ich habe Migräne!“ oder „Ich bin heute einfach zu kaputt.“, sondern man besucht einen Club. Entspannen, reden, Spaß haben – und das mit klaren Fronten und ohne Heuchelei. Mir persönlich erscheint das ehrlicher als vieles, was ich in den Beziehungen diverser Mitmenschen erleben „darf“.
Gut, mit den Schattenseiten des Gewerbes (Drogenstrich und ähnliches) bin ich noch nicht in Kontakt gekommen. Aber ich behaupte mal, es gibt viele „ehrliche“ Berufe, bei denen gerade Frauen gezwungen sind, weit mehr Würde aufzugeben als beim selbstbestimmten(!) Sexworking.
Vor allem: Wenn jemand als Politiker oder Jurist gleich seine Seele verkauft, ist das doch auch kein Problem!?
Bei der Gelegenheit:
Eine Frage, die mir bis heute niemand zufriedenstellend beantworten konnte, ist, wie man Prostitution eigentlich sinnvoll definieren oder abgrenzen will:
Die gutbürgerliche Versorgerehe á la „Er schafft das Geld heran, und sie sitzt zu hause und macht bei Bedarf die Beine breit.“ ist doch letztlich auch nichts anderes. Liebe, my dear… Erstaunlich, wie oft sich junge Frauen in reiche alte Männer (vice versa) verlieben – und wie schnell die Liebe verfliegt, wenn das Konto aus irgend einem Grund plötzlich leer ist.
Macht man es am Geld fest? Was ist mit Naturalien? Mit Frauen/Männern, die sich ihre Liebesdienste nicht in bar, sondern mit Sachleistungen, Vergünstigungen oder Beförderungen entlohnen lassen. Das geht ja schon mit solchen Dingen wie in „Die da?“ von den Fanta4 los… Mal übersitzt: Ein Drink oder eine Kinokarte sind ok, aber 20€ für’s Taxi sind Prostitution?
Oder dreht es sich um die Anzahl der Geschlechtspartner? Wird ein Mann zum Sexworker, wenn er seine Frau jeden Abend mit einer anderen betrügt? Eine Frau, die sich auf einer Party mal gehen lässt? Ein Ehepaar, das einen Swingerclub aufsucht?
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Politik weiß offenbar selbst nicht, was genau sie eigentlich reglementieren will. Aber gut, Aktionismus á la „Steht nicht einfach nur rum! Verbietet irgendwas!“ hat in diesem Land Hochkonjunktur…