Koalitionsvertrag zu Prostitution und Freierbestrafung

Wie aus einem über das Handelsblatt geleakten und bei den GRÜNEN dokumentierten Entwurf des Koalitionsvertrags der CDU, CSU mit der SPD hervorgeht, plant Schwarz-Rot Änderungen zur Gesetzeslage von Menschenhandel und Prostitutionsstätten. In dem Dokument heißt es auf Seite 95:

Menschenhandel, Prostitutionsstätten: Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen und die Täter konsequenter bestrafen. Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt. Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten. Zudem werden wir das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend überarbeiten und ordnungsbehördliche Kontrollmöglichkeiten gesetzlich verbessern. Wir werden nicht nur gegen die Menschenhändler, sondern auch gegen diejenigen, die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen, vorgehen. Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.

Ich kommentiere:

Die Koalition möchte Frauen schützen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind. Für männliche Menschen, die dasselbe Schicksal erlitten haben, interessiert sie sich nicht. Opfer von Menschenhandel sollen nicht etwa generell und unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft ein Bleiberecht erhalten. Nein, ihre Aufenthaltssituation soll verbessert werden, und zwar abhängig von ihrer Aussagebereitschaft im Prozess. Denn das geht ja nicht, dass man Leuten, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind, einfach Asyl in Deutschland gibt. Da könnte ja Jeder kommen, der nicht vor Lampedusa ertrinken möchte…

Außerdem soll das Prostitutionsgesetz überarbeitet werden, umfassend. Man muß wissen, das Porstitutionsgesetz umfaßt derzeit drei Paragraphen. Die drei Paragraphen des ProstG, die uns Sexarbeitern zaghafte Rechte gewähren, stehen neben acht Paragraphen im Strafgesetzbuch, die unsere Arbeit im Blickwinkel der Kriminalität und Strafverfolgung betrachten. Werden die von der Koalition verabschiedeten neuen Paragraphen uns mehr Rechte gewähren oder werden sie unsere wenigen Rechte durch Verbote, Einschränkungen und Relativierungen wieder beschneiden? Und wie gedenkt Schwarz-Rot die besagten ProstitutionsSTÄTTEN zu regulieren? Cliffhanger… Konkretisiert ist hier nichts, es bleibt also spannend.

Oh, aber natürlich sollen die ordnungsbehördlichen Kontrollmöglichkeiten verbessert werden. Denn die sind ja derzeit auch so unglaublich schlecht: Die Polizei hat lediglich das Recht Prostitutionsstätten jederzeit anlaßlos zu durchsuchen (= Razzia) [§ 104 (2) StPO = Bund, § 36 (4) ASOG = Berliner Polizeigesetz, analog in Bayern, Hessen, Meck-Pomm, Thüringen, Brandenburg, NRW und Schleswig-Holstein], was im Zweifelsfall unser Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einschränkt. Die Polizei hat außerdem das Recht, die Identität sämtlicher Personen, die sich in Prostitutionsstätten aufhalten, festzustellen [§ 21 (2) ASOG = Berliner Polizeigesetz, analog in Bayern, Hessen, Meck-Pomm, Thüringen, Ba-Wü, Rheinland-Pfalz und Sachsen]. Da frage ich mich, welche zusätzlichen Rechte die Polizei noch bekommen soll? Präventivfestnahmen? Nutten-Datenspeicherung? Ausstellung von Gütesiegeln „100% nicht-menschengehandelt“? Wer befürchtet, demnächst in einem Polizeistaat aufzuwachen: Hier wird schon mal der Weg dahin geebnet!

Natürlich darf auch die von Alice Schwarzer und Sympathisanten geforderte Freierbestrafung nicht fehlen, etwas verklausuliert formuliert. Natürlich will man nicht ALLE Freier bestrafen, sondern nur die Kunden von Opfern von Menschenhandel in der Prostitution, was dazu führen wird, dass Kunden sexuelle Dienstleistungen nicht mehr bei Osteuropäer_innen kaufen werden. Denn wie soll man ein Opfer von Menschenhandel auch anders erkennen, als an einem nicht-arischen Äußeren und einem ausländischen Akzent?

Nicht einmal die auf die Verfolgung von Menschenhandel spezialisierten Einheiten der Polizei sind dazu in der Lage, Opfer von Menschenhandel zweifelsfrei zu identifizieren: Im Jahre 2010 führte das BKA in seiner Polizeilichen Kriminalstatistik 610 mutmaßliche [!] Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (§ 232 StGB) auf. Das Statistische Bundesamt erfaßte 2010 in seiner Verurteilungsstatistik 90 Opfer laut rechtskräftigem Urteil. Das heißt, die Polizei hat 520 Menschen für Opfer von Menschenhandel gehalten, die u.U. gar keine sind. Wie sollen Sexarbeiter_innen, insbesondere Migrant_innen, ihren Kunden zukünftig klar und glaubhaft machen, dass sie vollkommen freiwillig und selbstbestimmt in der Prostitution tätig sind? Ob ich meinen Kunden die Angst vor einer Verhaftung nehmen kann, indem ich mir von der Polizei ein Gütesiegel „100% nicht-menschengehandelt“ ausstellen lasse?

Spaß beiseite: Die von der Koalition geplante Freierbestrafung wird zu mehr Fremdenfeindlichkeit und zu Geschäftseinbußen bei ost-europäischen Sexarbeiter_innen führen. Osteuropäische Sexarbeiter_innen, die hier vollkommen legal arbeiten (§ 2 FreizüG/EU [Recht auf Einreise & Aufenthalt Selbstständiger]), weil Prostitution hier erlaubt ist, weil sie hier mehr Geld verdienen können und das Risiko eines Outings vor ihren Familien hier geringer ist, werden aus Mangel an zahlungswilliger Kundschaft noch elender dran sein als bisher. Denn so wird es kommen: Deutscher Wohlstand den Deutschen, Ausländer sollen gefälligst in ihren Herkunftsländern glücklich werden! Das kann nicht toleriert werden, dass die sich hier legal ihren Lebensunterhalt verdienen!

Ah, genau, und ganz am Schluß, in den Peripherien sozusagen, fällt der Koalition ein, dass es Menschenhandel und Ausbeutung ja auch in anderen Berufszweigen als der Sexarbeit gibt und sogar ein Strafrechtsparagraph existiert, der den Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft unter Strafe stellt. Soll die Aufenthaltssituation dieser Menschen auch verbessert werden oder nur die der Frauen unter ihnen? Oder sind Opfer von Menschenhandel eigentlich doch egal, wenn sie nicht irgendwas mit Sex durchlitten haben? Geht es Schwarz-Rot am Ende gar nicht darum, dass hier Menschenrechte verletzt werden und das ein Unding ist, sondern allein darum, die legale Prostitution einzudämmen und Deutschland als Arbeitsstätte für selbstständige Ausländer_innen unattraktiver zu machen? Wenn man den Entwurf des Koalitionsvertrags liest, möchte man das beinahe glauben.


 
 
 

4 Kommentare zu “Koalitionsvertrag zu Prostitution und Freierbestrafung”

  1. Kürass
    12. Dezember 2013 um 22:23

    Es ist traurig. Ich hoffe, dass das nicht durchkommt. Das wäre ja der Schlüssel zur behördlichen Willkür und zur Entmündigung der Sexarbeiter, die ja gar nicht wissen können, ob sie nicht doch irgendwie unterbewusst gezwungen werden, *hust*.

    Das ist doch so ein halbfertiger, eigennütziger Gesetzesentwurf, der die lieben, „moralisch einwandfreien“ Bundesbürger beruhigt und nebenher noch die Möglichkeit bietet, ’nen Huren-Ablass (oder wie von dir nett formuliert, ein 100%-nicht-menschengehandelt-Siegel) zu verkaufen.

  2. thierry
    13. Dezember 2013 um 18:00

    einmal mehr saugut weitergedacht. danke.

  3. Think
    1. März 2014 um 13:03

    Liebe Courtisane,

    Deinen Vortrag bei den Piraten habe ich mit Interesse gesehen und gehört. Gerade weil Du meiner Meinung nach Recht hast, würde ich gerne von Dir erfahren, wie Du dir die vollkommen andere Wahrnehmung von Sexarbeit in unserer Gesellschaft erklärst:

    Wieso werden Sexarbeiter von beiden Geschlechtern mehrheitlich als „schmuddelig“ diskriminiert?

    Wie sehen das Deine Kund/innen, sofern sich Dir dies während eurer gemeinsam verbrachten Zeit erschließt? Ist da manchmal so etwas wie „schlechtes Gewissen“ zu spüren?

    Grüße und Danke für eine Antwort

  4. carmen
    9. März 2014 um 16:29

    Wieso wird Sex in unserer Gesellschaft mehrheitlich als etwas Schmuddeliges betrachtet? Sexualität – die nicht zwischen Mann und Frau stattfindet, die nicht dem Zweck der Fortpflanzung dient, die außerhab der Ehe stattfindet, die mit mehreren oder wechselnden Partnern stattfindet, die mit sonderbaren Spielregeln arbeitet – ist in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert. Homosexuelle werden in den meisten Teilen der Welt noch immer verfolgt. Menschen, die BDSM praktizieren, müssen sich z.T. sogar in Mitteleuropa dafür rechtfertigen, was für perverse Naturen sie sind. Frauen, die einen kurzen Rock getragen haben, wird vorgeworfen, selbst Schuld an ihrer Vergewaltigung zu sein. Und so weiter und so fort… Sexuelle Diskriminierung ist in unserer Gesellschaft an der Tagesordnung.

    Sexarbeiter und ihre Kundinnen sind da nicht ausgenommen, zumal sie zu ihrer Verteidigung nicht einmal den Aspekt der Liebe anführen können. Sex um seiner selbst Willen ist in unserer Gesellschaft nach wie vor inakzeptabel. Warum? Keine Ahnung! Religiöse Verblendung? Romantische Überhöhung der Liebe? Patriarchale Sozialisierung? Angst vor Mündigkeit und Eigenverantwortung? Eine Mischung daraus? Ich weiß es nicht, aber ich täte da langsam gerne mal einen zivilisatorischen Fortschritt.

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