Offener Brief an Fun Factory – mit Antwort

Bisher habe ich immer recht gerne bei der Firma „Fun Factory“ eingekauft, da ihre Toys eine ganz gute Qualität haben und auch interessante Formen (wobei ich gerade in letzter Zeit auch oft fand, dass ihre Toys nicht mehr so gelungen gestaltet sind wie früher – aber das nur am Rande) – und nicht zuletzt, weil die Läden offen und freundlich gestaltet sind und sich nicht verschämt verstecken. Man bekommt auch, wenn man dort einkauft, nicht die üblichen unbeschrifteten schwarzen Tüten, sondern große bunte Papiertüten, die stolz das Firmenlogo tragen. Neulich jedoch hatte ich ein Erlebnis im Berliner „Fun Factory“-Store, das mich wirklich sehr verärgert hat. Die anwesende Verkäuferin machte mir deutlich, dass die Firma mit Huren und dem ganzen Thema Sexarbeit am liebsten nichts zu tun haben möchte – wahrscheinlich aus Angst, von dem schlechten Image was abzubekommen, das Sexarbeit ja leider noch immer hat. Das ärgerte mich erst recht, weil „Fun Factory“ nach außen eben so modern und aufgeklärt tut.

Ich habe deshalb einen „Offenen Brief“ an den Geschäftsführer und Gründer Dirk Bauer geschrieben:

FUN FACTORY GmbH
Dirk Bauer
Auf dem Dreieck 2-4
D – 28197 Bremen

Offener Brief einer Sexarbeiterin an die Firma Fun Factory

Sehr geehrter Herr Bauer,

vor einigen Tagen hatte ich ein kurzes Gespräch mit einer Ihrer Angestellten im Berliner „Fun Factory“-Store am Hackeschen Markt über die Haltung Ihres Unternehmens zum Thema Sexarbeit. Ich nehme dies zum Anlass, Ihnen zu schreiben.

Ausgangspunkt war meine Frage an die angestellte Dame, ob ich in der Filiale ein paar Flyer für ein Filmfestival auslegen könne, das die Berliner Hurenorganisation Hydra e.V. (die Ihnen vielleicht ein Begriff ist) anlässlich Ihres 30. Jubiläums veranstaltete. Thematisch schien mir das sehr passend. Die Dame sah sich die Flyer an und meinte, das Wort „Hure“, das darauf relativ prominent zu lesen war, stelle ein Problem dar. Wenn sie diese Flyer auslegen würde, bekäme sie Ärger mit der Unternehmensleitung – also mit Ihnen. Es sei ausdrückliche Unternehmenspolitik der Firma Fun Factory, jegliche Berührung mit dem Thema Sexarbeit zu vermeiden. Ich erwiderte, dass ich diese Haltung bedauerlich fände, da sicher auch viele SexarbeiterInnen bei „Fun Factory“ einkauften. Darauf entgegnete die Mitarbeiterin, das glaube sie nicht, da Ihre Spielzeuge ja „sehr hochpreisig“ seien. Des weiteren verwies sie mich an die Unternehmensleitung, wenn ich weitere Anmerkungen oder Nachfragen zur Geschäftspolitik hätte.

Da mich die Auskünfte Ihrer Angestellten sowohl überrascht als auch sehr geärgert haben, schreibe ich Ihnen. Nicht, dass ich keine Flyer auslegen konnte, ärgerte mich, sondern dass ich erfahren musste, dass ein großes deutsches Unternehmen der Erotikbranche wie Ihres, das sich den Anstrich eines selbstbewussten, emanzipierten und modernen Umgangs mit Sexualität gibt, es dennoch nötig zu haben meint, sich von Sexarbeit abzugrenzen – offenbar um sich als etwas „Besseres“ darzustellen. Das Bemühen, die Erotikbranche vom Schmuddelimage zu befreien, geht damit auf Kosten derer, die von der Gesellschaft am stärksten stigmatisiert und diskriminiert werden.

Ihr Geschäftskonzept beruht auf der Prämisse, dass es nicht verwerflich ist, Menschen zu einer erfüllten Sexualität zu verhelfen und damit Geld zu verdienen. Daher halten es Unternehmen wie das Ihre nicht länger für nötig, sich zu verstecken, ihr Geschäft in abgedunkelten Läden abzuwickeln und verschämt schwarze Tüten an die Kunden zu verteilen. Ich finde das sehr begrüßenswert. Warum aber wird Sexarbeit noch immer mit ganz anderen Augen betrachtet? Ich glaube, dass sich eine grundsätzlich positive Haltung gegenüber Sexualität nicht mit der moralischen Verurteilung von (selbstbestimmter) Sexarbeit vereinbaren lässt. Da Ihr Unternehmen eine solche sex-positive Haltung nach außen vertritt, sehe ich in der Abgrenzung von Sexarbeit eine Tabuisierung, die letztlich die gesellschaftliche Doppelmoral gegenüber Sexarbeit bejaht und Sexarbeit als unmoralisch oder anrüchig in die Schmuddelecke abschiebt – bzw. dort belässt. Mit dieser Tabuisierung und Sonderbehandlung des Themas Sexarbeit tragen Sie mit zur gesellschaftlichen Stigmatisierung von SexarbeiterInnen bei.

Dass gerade Huren sich Ihre „hochpreisigen“ Toys nicht leisten könnten, ist ja eine eher absurde und widersinnige Idee. Ich finde es mehr als fragwürdig, dass Sie einen Teil Ihrer Kundschaft verleugnen, weil ihr Beruf gesellschaftlich noch immer nicht salonfähig ist. SexarbeiterInnen sind auf dem Gebiet der sexuellen Freude die Profis und ExpertInnen. Sie verwenden Sextoys nicht nur privat wie andere Menschen, sondern auch professionell. Insofern wäre die Tatsache, dass SexarbeiterInnen bei Ihnen einkaufen, viel eher eine Qualitätsauszeichnung für Ihre Produkte als ein Schandmal, das Sie verbergen müssten.

Mit einer mutigeren und konsequenteren Position könnten Sie dazu beitragen, dass SexarbeiterInnen in Zukunft in der Öffentlichkeit zu Ihrem Beruf stehen können, ohne Diskriminierung fürchten zu müssen.

Wenn Ihr Unternehmen tatsächlich mit dem Thema Sexarbeit nicht in Verbindung gebracht werden will, ist das für mich ein Grund, in Zukunft nicht mehr bei Ihnen einzukaufen. Vermutlich wird es einigen meiner FreundInnen und KollegInnen ebenso gehen. Ich habe wenig Lust, eine Sextoy-Firma zu unterstützen, die mich als Kundin eigentlich gar nicht haben will, und die die oben beschriebene Doppelmoral mitträgt, die wir SexarbeiterInnen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft zur Genüge kennen und satt haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Sascha
Unabhängige Hure und Escort, Berlin
Mitglied von Hydra e.V.

P.S.: Falls Ihnen Hydra e.V. nicht bekannt sein sollte, finden Sie hier weitere Informationen: www.hydra-ev.org

UPDATE, 5. Oktober 2010:

Inzwischen habe ich von „Fun Factory“ eine Antwort bekommen. Hier der Brief der „Marketing-Managerin“ Ilona Offermann im Wortlaut:

Hallo Sascha,

vielen Dank für den Offenen Brief an uns.

Als FUN FACTORY engagieren wir uns seit 1996 dafür, das das Thema Sexualität und Sextoys enttabuisiert wird.

1996 gab es auf dem Sextoymarkt ausschließlich Sextoys, die Penisse und Vaginen nachbildeten. Es gab viel mehr qualitativ schlechte Toys, fast ausschließlich aus China, die mit viel „Haut“ beworben wurden. Sextoys und Sexshops hatten in diesem Zeitraum etwas „Schmuddeliges“, Pornografisches und waren nicht auf die Zielgruppe „Frau“ eingestellt, sondern befriedigten die Bedürfnisse und Fantasien der überwiegend männlichen Kundschaft.

Die FUN FACTORY hat dieser Wahrnehmung einen neuen ästhetischen Trend gegenübergestellt: Wir wollten gesundheitsfreundliche Materialien, bunte Farben und vielfältige Formen, eben Toys für Frauen und Paare, mit denen man einfach Spaß haben kann.
Zu diesem Zeitpunkt ist auch unser Slogan „love yourself!“ entstanden, der ein positives Verständnis vom Umgang mit der eigenen Sexualität unterstützen soll.

In diesem Zusammenhang haben wir uns schon damals dazu entschlossen, in unserer Werbung und auf den Verpackungen für unsere Toys nicht mit Abbildungen von Körperteilen zu arbeiten. Unsere Texte sollen Spaß auf mehr machen und eine eher fantasievolle Welt eröffnen – in Konsequenz zum oben Gesagten eben „no porn“. Toys sollten Teil von Lifestyle sein. Das war und ist noch immer unsere Vision.

Auch die HYDRA setzt sich (bekanntermaßen schon viel länger) dafür ein, dass das Thema Sexualität und Sexarbeit enttabuisiert wird und stellt vielfältige Informations- und Beratungsleistungen für Sexarbeiterinnen zur Verfügung, leistet wichtige Aufklärungsarbeit.

Was ist überhaupt Teil der Sex-/Erotikbranche? Sextoys, Sexarbeiterinnen, Pornofilm-Business, SM, Bondage, Homosexualität, Lack und Leder …

Sex/Erotik haben unzählige Facetten, die gelebt werden wollen und mit denen Geld verdient wird, weil es eben einen Bedarf dafür gibt. Eine Bewertung dessen steht uns und anderen Menschen nicht zu.

Insgesamt haben wir eine sehr offene Firmenpolitik. Uns ist wichtig, dass jede/r ihre/seine Sexualität so lebt, wie sie/er es will.

In unserem Flagshipstore in Berlin haben wir eine offene Raumgestaltung gewählt, weil wir damit Offenheit signalisieren wollen. Eine Stigmatisierung von Sexualität und/oder Sexarbeit liegt uns fern.

Wir wissen, dass unsere Sextoys von einer vielfältigen Kundschaft gekauft wird – so auch von verantwortungsvollen Sexarbeiterinnen, die Toys aus gesundheitsfreundlichen Materialien nutzen. Dabei hoffen wir, dass die Qualität unserer Toys ihren Preis rechtfertigt und wir zufriedene Kunden haben.

Die persönliche Meinung und die Phantasie eines einzelnen Mitarbeiters und die daraus folgenden „Gedankengänge“ und Zusammenhänge zum Thema Sexarbeit können wir nicht mittragen. Da haben wohl viele eigene Vorurteile, Unsicherheit oder eine mißverstandene Interpretation von „no porn“ in die Äußerung der Mitarbeiterin mit hineingespielt – so „absurd“ sie auch sind, so verletzend sind sie für einen Berufsstand, der bereits seit 3 Jahrzehnten um Anerkennung kämpft.
Ich denke, wir haben hier noch eine Menge Aufklärungsarbeit, auch ggü. unseren MitarbeiterInnen zu leisten und entschuldigen uns für die entstandene Situation.

Mit freundlichen Grüßen aus Bremen

Ilona Offermann
Marketing Manager

Auch wenn der Brief erstmal viel Eigenwerbung enthält und ein wenig Schmeichelei bezüglich der Arbeit von Hydra, finde ich es erstmal schön zu lesen, dass sich Ilona Offermann für den Vorfall entschuldigt und die Ansichten, bzw. „»Gedankengänge«“ (amüsant, wie die Dame hier Anführungszeichen gesetzt hat) der Mitarbeiterin als „persönliche Meinung“ bzw. deren „Phantasie“ bezeichnet, die das Unternehmen „nicht mittragen“ könne. Sie distanziert sich auch von einer „Stigmatisierung von Sexualität und/oder Sexarbeit“.
Allerdings finde ich den Brief nicht ganz befriedigend, denn um eine eindeutige Aussage zur Firmenpolitik drückt sie sich. Stattdessen wird viel vage herumgeredet: „In unserem Flagshipstore in Berlin haben wir eine offene Raumgestaltung gewählt, weil wir damit Offenheit signalisieren wollen.“ Frau Offermann schreibt nicht wirklich, ob es mit der gegenwärtigen Fimenpolitik vereinbar ist, dass die Mitarbeiterin die Auslage der Flyer mit der bekannten Begründung abgelehnt hat und ob eine Abgrenzung nicht doch erwünscht ist. Lediglich stigmatisieren wolle man nicht. Das aber zumindest war ja von vornherein klar, dass eine Diskriminierung nicht absichtlich erfolgt. Und dass „Fun Factory“ SexarbeiterInnen als KundInnen nicht vergraulen will und insofern die Aussagen der Mitarbeiterin bezüglich der „hochpreisigen Toys“ „nicht mittragen“ kann, ist ja auch keine Überraschung. Ich habe deshalb nochmal ganz konkret nachgefragt. Es ist ja nicht so einfach, aus Marketing- und PR-Leuten eindeutige Aussagen herauszubekommen.

Über die Firmenpolitik sagt Frau Offermann dagegen sehr eindeutig, dass es eine „no porn“-Haltung gibt. Die scheint sich darauf zu beziehen, dass die Firma ihre Toys nicht mit pornographischen Bildern bewerben will, was ich gut finde, weil es sich von der sexistischen Bildpraxis vieler Erotik-Anbieter abgrenzt, sowie von der Werbestrategie „je mehr nackte Haut, desto besser“.
Es zeigt aber auch wieder, finde ich, dass in diesem Feld die Abgrenzung von sexistischen, chauvinistischen oder sonstwie kritikwürdigen Praktiken eine schwierige Angelegenheit ist und oft misslingt: Zum Beispiel wird, anstatt den Sexismus und die Frauenfeindlichkeit zu kritisieren, Pornographie pauschal verdammt, obwohl es doch auch feministsche, lesbische, queere Pornos gibt – siehe Alice Schwarzer -, und damit eine lustfeindliche und (im schlechten Sinn) moralisierende Position eingenommen.
Ich möchte jetzt der Firma Fun Factory in diesem Punkt gar nicht erneut irgendeinen einen Vorwurf machen (die Werbestrategie scheint mir gerechtfertigt), aber die Worte „no porn“ haben mich zumindest nachdenklich gemacht. Ich finde die Frage interessant und gar nicht so einfach zu beantworten, wie man sich von dem abgrenzt, was im Sexgewerbe und allgemein im gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität problematisch ist, ohne sexuelle Praktiken unangemessen zu moralisieren und pauschal zu verurteilen.

UPDATE, 7. Oktober 2010:

Tatsächlich habe ich auch auf meine konkrete Nachfrage nochmal eine Antwort bekommen, so dass ich mich jetzt wirklich nicht mehr beschweren will:
Frau Offermann schreibt, es dürften gerne „Infomaterialien oder Flyer zum Thema Sexarbeit ausgelegt werden.“ – Mit der Einschränkung, dass nur FSK-freie Titelbilder auf den Flyern und Infomateralien zu sehen sein dürfen.


 
 
 

5 Kommentare zu “Offener Brief an Fun Factory – mit Antwort”

  1. Sina
    3. Oktober 2010 um 22:20

    gut gemacht! würde mich interessieren ob der antwortet und wenn ja, was..

  2. carmen
    4. Oktober 2010 um 15:20

    Man ist fast gewillt, seine gesamte FunFactory-Kollektion in den Laden zurückzutragen und sein Geld zurück zu verlangen. Wenn ich als Hure tatsächlich nicht als Käuferin gewollt bin, dann eben nicht. Aber schade wäre es schon. Schließlich kaufe ich die Produkte, weil sie qualitativ wirklich einen Mehrwert haben und ich bereit bin, dafür auch einen Groschen mehr hinzulegen. Von wegen Huren können sich das eh nicht leisten, pah! Da möchte ich gar nicht wissen, welche Vorurteile FunFactory noch gegen unseren Berufszweig hat.

    ps.: Spannend zum Thema Huren und ihre Qualitätsansprüche bei Sexspielzeug ist vielleicht auch mein Testbericht zum „Toycase“ bei JC: Sextoykoffer von Toycase im Test.

  3. Leonard
    29. Dezember 2010 um 13:29

    Wow, Hut ab. Super geklärt. ;)

  4. Jorinde
    18. Februar 2011 um 12:13

    Hallo Sascha,

    Deinen offenen Brief finde ich klasse! Ich habe erst heute Deine HP gefunden und bin insgesamt beeindruckt.

    Lieben Gruß aus NRW

    Jorinde

  5. Individualmoral
    15. März 2011 um 20:10

    Sehr gelungen, danke für das Teilhaben lassen.

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