Gute Hure – Böse Hure. ‚Belle de Jour‘ geoutet

Seit Tagen geistert es durch die englischen Medien: Das anonyme Londoner Call-Girl ‚Belle de Jour‘ ist nicht mehr anonym und nicht nur das. Mit ihrem Outing stellt sich heraus, sie ist tatsächlich das, was sie in ihrem Blog immer von sich behauptet hat: eine gutaussehende, hoch-intelligente, emanzipierte und unabhängige Frau. Inzwischen hat die Gute sogar ihren Doktor in Epidemiologie (wow!) und das sicherlich nicht, weil sie mit dem Vergabegremium gevögelt hat. Klar, dass da einigen besonders engagierten Prostitutionsgegnern erst mal das Essen aus dem Mund fällt.

Ich hatte das Buch „Belle de Jour“ von einem Freund (A.) zum Berufseinstieg geschenkt bekommen und bei jedem Toilettengang eifrig gelesen. Es war unterhaltsam, aber keine tiefschürfende Literatur. Dennoch war die anonyme Bloggerin in London stadtbekannt, eine Bestsellerautorin, deren Geschichten sogar Material für Serien und Filme gaben. Doch an ihre wahre Identität wollte keiner so recht glauben. Man hielt die „multitalentierte Sexmaschine“ für einen „älteren Autor mit Hornbrille“, heißt es in einem SpOn-Artikel vom Dienstag, für einen „perverse[n] Loser, der für andere perverse Loser schreibt“.

Ich hingegen habe immer schon geglaubt, dass es sich vermutlich um eine gutaussehende, hoch-intelligente, emanzipierte und unabhängige Frau handelt, die sich ihr Studium durch ihre Escorttätigkeit finanziert. Ich habe das gelgaubt, weil das ein für eine Frau mit IQ 130+ dankbarerer, intellektuell anspruchsvollerer, geilerer und lukrativerer Job ist, als bspw. bei McDonald’s an der Fritteuse zu arbeiten (oder wo auch immer sich arme StudentInnen und PraktikantInnen sonst für gewöhnlich von ihren Arbeitgebern ausbeuten lassen, um wenigstens annähernd menschenwürdig leben zu können). Ich habe das geglaubt, weil soetwas in meinen Weltbild existiert, weil ich selbst eine „Belle de Jour“ bin und weil alle meine Nuttenfreundinnen auch „Belles de Jour“ sind.

Aber in den Köpfen der meisten Menschen ist eine Hure nicht glücklich oder seelisch unversehrt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Prostituierte, das sind immer Opfer, Opfer von Gewalt und Opfer von Vergewaltigung. Prostituierte müssen einfach Opfer sein, denn sowas kann doch keine freiwillig wollen… Und dann kommt da eine Frau mit einem Doktor in Epidemiologie und hat tatsächlich die Frechheit zu behaupten, sie sie gar kein Opfer, sondern hätte sich ohne Zwang von Außen für die Prostitution entschieden und es sei ihr nicht einmal schlecht bekommen. Man ist empört!

Insbesondere die Heilige Kirche ist empört. Sofort ergreift der Erzbischof von York das Wort: „Wir sollen glauben, dass diese Sexarbeiter unabhängige Frauen sind“, aber das sei ein „Mythos“, heißt es beim Spiegel. Gut, der Bischof muß es ja wissen, der kennt sich mit Gewalt und Vergewaltigung, sexuellem Zwang und schmutzigem Gewerbe sicherlich besser aus, als eine Escortdame aus der Mittelschicht. Aber auch im Guardian (Übersetzung im Freitag vom Dienstag) werden kritische Stimmen laut, die sich sofort darum bemühen, das ins Schwanken geratene Weltbild vom Opfer ‚Hure‘ wieder grade zu rücken. „Ihre [‚Belle de Jours‘] Erfahrungen als Prostituierte entsprechen nicht der Norm; sie hatte Glück, denn normalerweise bringt die Prostitution, verkürzt gesagt, Frauen schlichtweg um“, leitet Tanya Gold ihr Plädoyer gegen die Prostitution ein.

Norm? Moment mal, Prostitution ist in Britanien illegal. Die Frauen müssen sich verstecken, und zwar nicht nur vor der üblen Nachrede ihrer Nachbarn, wie das bei uns der Fall ist. Wie kann die Frau da Worte wie ‚Norm‘ und ’normalerweise‘ in den Mund nehmen. Jeder Mensch, der in der Illegalität lebt, ob nun selbstgewählt oder unfreiwillig, ist nicht normativ. Aber gut, Frau Gold ist sich trotzdem nicht zu schade, eine wissenschaftliche Studie aus dem „Journal of Trauma Practice“ zu bemühen, um ihre Behauptung zu untermauern.

Die zitierte Studie von 2003, in der 854 SexarbeiterInnen aus neun Ländern befragt wurden, ergab, dass der Großteil der Prostituierten im Job Gewalt und Vergewaltigung ausgesetzt ist, schon als Kind mißbraucht wurde, an seelischen Erkrankungen leidet und sowieso von Geburt an aus den ärmsten und elendsten Bevölkerungsschichten stammt – also klar und eindeutig Opfer ist. Ich glaube, dass diese Studie nicht Unrecht hat. Aber es wird verschwiegen, aus welchen Gesellschaftsschichten die befragten SexarbeiterInnen stammen, ob sie sich freiwillig oder unter Zwang prostituieren. Natürlich fühlt sich eine Frau, die unfreiwillig und aus Not Sex gegen Geld anbietet, nicht wohl, fühlt sich ausgenutzt, wird unterdrückt, ist physischer Gewalt ausgesetzt und leidet deshalb auch seelischen Schaden. In jedem Bereich, wo Menschen zu etwas gezwungen werden, was sie eigentlich nicht wollen, sind physisches und seelisches Leid das Resultat – das ist nichts, was allein auf die Prostitution beschränkt wäre. Das sieht man bspw. auch daran, dass das Wort ‚Prostitution‘ im allgemeinen Sprachgebrauch übertragen für alle Bereiche steht, in denen Menschen ausgebeutet werden. Der eigentliche Grund für Not und Elend in der Prostitution ist nicht, dass Menschen Sex gegen Geld anbieten. Das ist eine Lüge der Fraktion, die Prostitution aus moralischen Gründen ablehnt und die deshalb unter dem Deckmantel der sozialen Verantwortung Demagogie betreibt. Der eigentliche Grund dafür, dass unglaublich viele Menschen elendig leben, ist der dass sie von anderen Menschen ausgenutzt werden und das ist nichts Prostitutionsspezifisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Der Fall „Belle de Jour“ hat deshalb für solche Empörung gesorgt, weil er beweist, dass es eben keine kausalen Zusammenhänge zwischen Prostitution und Elend gibt, dass nicht alle Prostituierten zwangsweise verelenden und zu Opfern werden. Der Fall ist spektakulär, weil er es wahrscheinlich erscheinen läßt, dass vieles von dem Leid Prostituierter vermeidbar wäre, wenn man die Position dieser Frauen und Männer stärken und ihnen mehr Rückhalt geben würde. „Belle de Jour“ ist kein Einzelfall und unter eben jenen Frauen, die sich freiwillig und selbstbestimmt prostituieren, keine Ausnahme, sondern die Regel. Ich selbst kenne ca. 15 SexarbeiterInnen persönlich, dazu kommen einige virtuelle Kontakte. Keiner dieser mir bekannten Menschen leidet Gewalt, Vergewaltigung oder seelische Erkrankungen in seinem Job, im Gegenteil. Wir alle haben uns das aber ausgesucht, weil es gutes Geld bringt und Spaß macht. Und wir alle stammen aus einer mehr oder weniger gehobenen Gesellschaftsschicht, sind emanzipiert und gebildet, haben Perspektiven und arbeiten in seriösen Umgebungen. Die wahren Gründe für das Elend vieler Prostituierter liegen sehr wahrscheinlich nicht in der Prostitution selbst, sondern in der Ausbeutung und dass solche Ausbeutung überhaupt möglich ist, liegt vermutlich daran, dass die Position der Prostituierten in der Gesellschaft nicht besonders stark ist und keinerlei Akzeptanz genießt. Illegalität, Angst, Armut, Bildungsarmut und generelle Verelendung – das sind die Rädchen, an denen wir drehen müssen, um die Situation der Prostituierten zu verbessern und das zeigt der Fall „Belle de Jour“.

Trotzdem kann für Frau Gold die Legalisierung von Prostitution keine Lösung sein. Sie argumentiert, dass ja schließlich in Ländern, in denen Prostitution bereits legal ist, immer noch der Großteil der Prostituierten Opfer ist. Das ist logisch, denn die Legalisierung von Prostitution allein sorgt nicht automatisch dafür, dass auch die Ausbeutung aufhört. Sie erleichtert es, dass sich seriöse Modelle etablieren können. Aber da muß noch viel mehr passieren. Denn auch in Ländern, in denen Prostitution an sich legal ist, ist vieles, was mit Prostitution eng verbunden ist, noch immer illegal oder zumindest so starken moralischen Repressionen ausgesetzt, dass es quasi illegal ist. Die Prostitutionsgesetze stehen vielfach in Konflikt mit anderen Gesetzestexten und verschaffen Anbieterinnen erotischer Dienstleistungen nach wie vor nicht genügend Sicherheit. Wäre auch die Prostitution selbst noch illegal, wären die Voraussetzungen dafür noch schlechter. Das alles verschweigt Frau Gold. Frau Gold verschweigt auch die Probleme illegaler Einwanderer und legaler Gastarbeiter, die generellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die Sparmaßnahmen im sozialen Bereich. Sie verschweigt insbesondere auch die Probleme, die sich genau deshalb ergeben, weil die Moralgesellschaft Prostitution nicht in ihrer Mitte sehen möchte. Denn durch die Repressionen der Moralisten wird Prostitution in Bereiche gedrängt, in denen Kontrolle und Rechtspflege vielleicht nicht mehr möglich sind, obwohl Prostitution selbst legal ist. Ich erinnere da an das Beispiel des Flatrate-Bordells „Pussy Club“, in dem Gastarbeiterinnen für immerhin 7.50€ (!) die Stunde völlig legal gearbeitet haben. Wovon leben diese Frauen jetzt, nachdem das Bordell auf Drängen des Bürgermeisters geschlossen wurde? All diese Probleme verschwinden nicht spurlos, nur weil Prostitution legal ist. Die Legalisierung ist ein erster Schritt und die Grundvoraussetzung dafür, dass sich überhaupt soetwas wie Sicherheit und Ordnung aufbauen können.

Illegalität führt immer zu Kriminalität, Kriminalität führt zu Gewalt, Gewalt führt zu Unterdrückung – dieser Strudel ist auch aus anderen Bereichen bekannt. Wie sollen sich denn im Bereich käuflicher Lust seriöse Modelle entwickeln und durchsetzen, wenn Menschen vertrieben, verklagt oder sogar in die Illegalität gezwungen werden, welche Perspektiven gibt es für jemanden, der sich verstecken muß und wo soll eine Ordnung herkommen, wenn erotische Dienstleistungen nur dort gehandelt werden dürfen, wo es der Moralbürger nicht sieht?

Frau Gold ist der Meinung, Prostitution sei „der sichere Weg ins Elend“ und müsse deshalb verboten sein/bleiben/werden. Ich meine, nur wer bereits elend ist, verelendet in der Prostitution nicht weniger. Ich spreche mich deshalb dafür aus, nicht die Prostitution, sondern das generelle Elend zu bekämpfen. „Belle de Jour“ ist ein deutlicher Beweis dafür, dass Prostitution nicht zwangsweise ins Elend führt und „Belle de Jour“ ist kein Einzelfall.


 
 
 

4 Kommentare zu “Gute Hure – Böse Hure. ‚Belle de Jour‘ geoutet”

  1. Felixx
    22. November 2009 um 11:50

    Du hast ja so recht ;)
    Ich glaube, es gibt Menschen, denen es so wichtig ist, ihre moralisch geprägte Position zu verteidigen, dass sie schlicht gegenüber der Vielfalt der Realität resistent sind – denn dann müssten sie ja differenzieren und würden bemerken, dass die Welt (in diesem Fall die der Prostitution) nicht nur schwarz ist…(weiß ja sowieso nicht). In den Augen dieser Menschen haben dann sich „angeblich freiwillig Prostituierende“ einen seelischen Schaden, wenn sie nicht bemerken, wie sehr sie in einem Zwang stecken, – womit dann das Klischee der Frau als Opfer wieder gerettet wäre. Es handelt sich letztlich wohl mehr um einen ideologischen Grundwerte-Krieg.
    Insofern ist es fast unsinnig, diese Damen und Herren Moralisten bekehren zu wollen, obwohl es immer wieder Versuche gibt, die Realität differenzierter darzustellen, wie ich mit „Abenteuer Hure“ oder Tamara Domentat mit ihrem Forschungsbericht „Lass dich verwöhnen“.

  2. carmen
    23. November 2009 um 11:59

    Na ja, aber es gibt ja auch noch die Damen und Herren Unaufgeklärt, Menschen, die zu dem Thema keine wirklich eigene Meinung haben, die einfach, wider besseren Wissens, Vorurteile wiederkäuen. Diese Menschen kann man erreichen, indem man von der Arbeit berichtet, indem man Präsenz zeigt und nicht länger schweigt zu solch eindimensionaler Berichterstattung. Denn die Welt besteht nicht nur aus schwarz (und weiß). Sie ist vielfarbig und diese Vielfarbigkeit darf gerne gezeigt werden, sonst wird sie eben von denen übersehen, die nicht danach schauen und von denen, denen sie nicht paßt, geleugnet.

  3. Robert
    18. Oktober 2010 um 01:53

    Soso, du bist also Gut aussehend und gebildet :P Ist das nicht eine Frage des Standpunktes? Ne, Spaß beiseite. Ich habe mal für eine Prostituierte gearbeitet (wow klingt das Strange). Und ist auch die einzige die ich bisher kennengelernt habe. Verwirrt einen Mann, wenn ´ne Frau perverser ist als man selbst. Besonders weil sie mich ständig vögeln wollte, sogar umsonst (und ich bin weißgott nicht der schönste Mann im Land). ich glaube das mit den gebildeten Frauen dürfte auch mehr die Ausnahme sein.

    Aber… differenzieren ist bei jedem Thema das A und O. Völlig unabhängig ob es um Einfuhrzölle von Caramelbonbons, Ausländerproblematiken oder Frauenquoten geht. Es gibt wohl bei allem ein Für und Wider. Ich merke, ich kenne definitiv zu wenig Prostituierte (ha ha)!

  4. carmen
    18. Oktober 2010 um 11:02

    Ja, ich kann das mit relativer Gewißheit sagen, dass ich gutaussehend und gebildet bin. Unabhängig davon ist jedes Urteil eine Frage des Standpunktes. Deshalb muß man nicht aufhören, Urteile zu fällen.

    Verwirrt einen Mann, wenn ´ne Frau perverser ist als man selbst.

    Was für ein Chauvi-Statement. Das ist ja widerlich!

    ich glaube das mit den gebildeten Frauen dürfte auch mehr die Ausnahme sein.

    Ich glaube, das mit den gebildeten Menschen ist eine Ausnahme. Und die Gaußsche Glockenkurve (aka. Normalverteilung) gibt mir da Recht.

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