Starke Lobbygruppen und böse Medien

Anfang März erschienen im Cicero online in kurzer Folge drei Texte zum Thema Prostitution. Der erste, ein Interview mit Volker Beck mit dem Titel „Der Gesetzgeber ist kein Moralunternehmen„, war relativ sachlich und durchaus sympathisch, auch wenn ich mit Volker Beck nicht in allen Punkten übereinstimme. Der darauffolgende von Petra Sorge (@albatrai) trug den Titel „Wie die glückliche Hure erfunden wurde“ und griff mich bereits in meiner Existenz als selbstbestimmte Sexarbeiterin an. Die Krönung aber war der letzte der drei Artikel von Chantal Louis, die gleich forderte „Prostitution abschaffen!“ und wiederrum den diskriminierenden Warenbegriff im Kontext der Prostitution [PDF] propagierte.

Die drei genannten Artikel sind Teil des Dossiers „Prostitution. Wahrheit und Mythos„, mit dem sich der Cicero selbst die Kompetenz über die Frage nach Fiktion und Faktion im Diskurs über Sexarbeit, Menschenhandel und Sklaverei zuschreibt. Auch ein kurzer Blick in dieses Dossier zeigt: Über Prostitution kann nicht gesprochen werden, ohne nach den Opfern zu fragen. Ein Diskurs über freiwillige, selbstbestimmte Sexarbeit kommt nicht daran vorbei, über unfreiwilligen Sex, über Ausbeutung und prekäre Arbeitsverhältnisse zu sprechen. Jeder der Cicero-Artikel zum Thema Prostitution beweist das. Genau das negiert aber die Online-Redakteurin des Cicero, Petra Sorge. In ihrem Artikel behauptet sie, dass „die glückliche Hure“ eine Erfindung „der Medien“ sei. Mir als Sexarbeiterin soll das vermutlich sagen, dass mein Gefühl, in und mit meinem Beruf glücklich zu sein, keine auf autonomer Introspektion beruhende Selbsteinschätzung ist, dass es nicht etwa daher rührt, dass ich in meinem Beruf nicht übermäßig viel arbeiten muß, um trotzdem gutes Geld zu verdienen und die Höhe meines Gehalts und meine Arbeitszeiten selbst frei bestimmen kann, wie ich bisher annahm. Nein, ich entspreche lediglich einem mir von den bösen Medien übergestülpten, völlig realitätsfernen Rollenbild und mein Gefühl glücklich zu sein, ist, wenn man der Logik des Artikels folgt, ein Selbstbetrug. Soll heißen: Ich bin nicht glücklich, ich weiß es nur noch nicht.

Dass es Petra Sorge aber in Wirklichkeit gar nicht darum ging, das verriet sie mir in einer Diskussion, die sie einen Tag später mit mir und einigen anderen Nutzern auf Twitter führte. Mit ihrem Artikel habe sie nicht mein Existenzrecht als selbstbestimmte Sexarbeiterin infrage stellen, sondern lediglich kritisieren wollen, wie unkritisch die Medien über Prostitution berichteten. Unsere Twitter-Diskussion sei bereits Beweis dafür, dass lediglich starke Lobbygruppen Gehör fänden, die Opfer jedoch nicht zu Wort kämen. Als ich an dieser Stelle nachhakte, um zu verstehen, was Frau Sorge da behauptete, entzog sie sich der Debatte mit dem Fazit, wir seien halt einfach nicht einer Meinung. Eine Erläuterung, wie ich ihren Tweet interpretieren soll oder einen echten Beweis für ihre Behauptung ist mir Frau Sorge bis heute schuldig. Was meint sie?


[die ganze Diskussion auf Twitter lesen]

Dafür, dass die Medien durchaus kritisch über Prostitution berichten und nach Opfern fragen, ist allein das Dossier des Cicero Beweis. Tatsächlich fällt mir kein seriöses journalistisches Blatt ein, in dem ich je einen Artikel zum Thema Prostitution gelesen hätte, in dem nicht wenigstens Begriffe wie „Zwangsprostitution“, „Menschenhandel“, „illegal“, „AIDS“ oder „Ausbeutung“ vorgekommen wären und ich habe berufsbedingt viel zu dem Thema gelesen. Auch keine starke Lobbygruppe, die sich zwar mit Prostitution, nicht aber mit Menschenhandel, Ausbeutung, sexuell übertragbaren Krankheiten oder prekären Arbeitsverhältnissen befaßt, kommt mir so spontan in den Sinn. Welche unkritischen Medien, welche starken Lobbygruppen meinen sie, Frau Sorge? Nennen sie doch bitte wenigstens ein paar Beispiele, damit wir über irgendetwas Konkretes diskutieren können.

Meinen sie damit vielleicht mich? Bin ich verblendete Einzelhure, die ich noch nicht einmal in der Lage bin, die Wahrheit über mein eigenes Glück zu erkennen, eine starke Lobbygruppe, so dass die Diskussion mit mir hier irgendeine Beweiskraft hätte? Oder meinen sie eher Medien, NGOs und Lobbygruppen, die für Opfer und Betroffene von Menschenhandel sprechen? Da fielen mir in der Tat einige starke Parteien ein. Das geht los beim vom BMFSFJ finanzierten KOK-Frauenhandel, einem bundesweiten Zusammenschluß von ca. 40 (!) Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel aus ganz Deutschland, der mit Polizisten und Politikern zusammenarbeitet und fruchtbare Lobbyarbeit betreibt. Namhafte Organisationen wie die Caritas, die Diakonie, die Mitternachtsmission, TERRE DES FEMMES oder SOLWODI sind dort Mitglieder! Vier der fünf letztgenannten Organisationen sind kirchlich getragen und folgen der christlichen Logik, die Prostitution (selbst wenn sie einvernehmlich passiert) als amoralisch und verwerflich betrachtet. Die christliche Kirche ist in Deutschland eine starke Lobby. Ein starkes Medium, das sich seit den frühen 80ern gegen Prostitution engagiert und sich in seinen Kampagnen und Artikeln immer wieder für die Belange von Opfern sogenannter „Zwangsprostitution“ einsetzt, ist die von Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer betreute Frauenzeitschrift EMMA. Auch junge Menschen wie die Aktivistinnen der ukrainischen Frauenrechtsgruppe FEMEN interessieren sich auf ihre Art für das Thema und kämpfen mit Fackeln, Nazi-Parolen und nackten Brüsten lautstark gegen Prostitution. Wenn man unbedingt will, kann man auch das für einen kritischen Beitrag zur Debatte halten.

Eventuell spielen sie, Frau Sorge, aber auch nicht auf diese starken Lobbygruppen an, die ich gerade genannt habe. Die Betroffenen von Menschenhandel kommen tatsächlich auch bei ihnen selten selbst zu Wort und das ist bedauerlich. Deutsche Behörden verfahren mit den Betroffenen von Menschenhandel so, dass sie sie zu ihrem eigenen Wohl und zum Schutz vor Ausbeutung in ihr Heimatland abschieben. Denn das entspricht der Bundesdeutschen Gesetzgebung nach § 55 (2.3) AufenthG, der den sprechenden Titel „Ermessensausweisung“ trägt. Anstatt den Opfern also zu helfen und ihnen Aufenthaltsrechte zu gewähren, weist der Staat, in dem wir leben, sie einfach aus. Lediglich wenn sie als ZeugInnen in einem Verfahren aussagen, dürfen sie so lange in Deutschland bleiben, bis sie ausgesagt haben und werden erst hinterher abgeschoben. Das ist traurig und absolut kritisierenswürdig – da stimme ich zu! Warum, Frau Sorge, schreiben sie dann aber nicht mal einen Artikel, der die Fremdenfeindlichkeit einer solchen Gesetzgebung kritisiert und das längst überfällige Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel einfordert?

Wie sollen die Opfer selbst eine Stimme bekommen, wenn wir sie wegschicken, ausweisen und von uns stoßen? Solange diese Gesetzgebung inkraft ist, werden auch in der stärksten Lobbygruppe allenfalls privilegierte Menschen, die sich dazu berufen fühlen, FÜR Opfer (oder Menschen, die sie dafür halten) sprechen und nie die Opfer selbst. Markanterweise gibt es an dieser Stelle eine auffällige Parallele zwischen Betroffenen von Menschenhandel und selbstbestimmten Sexarbeitern. Auch wir Huren haben keine Stimme. (Oder haben sie in einem dieser Medien, die sie im Kopf haben, jemals einen von einer SexarbeiterIn selbst verfaßten Artikel gelesen?) Man spricht zwar ÜBER uns, aber nie MIT uns. Man läßt auch uns nicht sprechen, sondern negiert unsere Existenz hinter dem Vorwand vermeintlicher Medienkritik. [ironie]Bravo, Frau Sorge, das nenne ich kritischen Journalismus![/ironie]


 
 
 

2 Kommentare zu “Starke Lobbygruppen und böse Medien”

  1. Isabel Arroyo
    2. Mai 2013 um 00:31

    Gut geschrieben. Wenn Schlecker dichtmacht, kommen die betroffenen Arfbeitnehmerinnen ausführlich zu Wort. Wenn Moralapostel die Prostitution zumachen wollen, kommen die Btroffenen nie zu Wort. Doppelmoral nenne ich das.

  2. peeka
    28. Mai 2013 um 12:57

    Ganz Deiner Meinung – alles, was wir nicht sehen, existiert nicht. Deshalb wird am besten ausgewiesen, denn was in den Herkunftsländern passiert, sehen wir ja nicht. Das ist die verlängerte Stoppschild-Politik.

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