Studentenprostitution

In diesem Artikel geht es um studentische Prostituierte und den Aspekt, dass diese viel weniger ausgebeutet werden, als bspw. Zwangs-Kellner, Zwangs-Telefonisten, Zwangs-Würstchenverkäufer und ähnliche Angestellte. Es geht um die Doppelbödigkeit des gesellschaftlichen Schocks über steigende Zahlen von Studenten in der Sexarbeit und die Sinnhaftigkeit der Entscheidung für Prostitution als Erwerbsquelle.

Studentenprostitution

Das Wort „Studentenprostitution“ höre ich – schon allein wegen zahlreicher Buchveröffentlichungen mit dieser Thematik – in letzter Zeit öfter. Meist schwingt darin der bevormundende und diskriminierende Gedanke mit, es handle sich um arme Studenten, die aufgrund der hohen Studiengebühren in die Prostitution gezwungen werden. Es sei erschreckend und alarmierend, dass die Zahlen studentischer Prostituierter stetig zunähmen, wobei der gesellschaftliche Schock vor allem darin begründet liegt, dass der Terminus „Prostitution“ in erster Linie synonym zu „Sexarbeit“ und erst in zweiter zu „Ausbeutung“ gedacht wird. Studentenprostitution bedeutet also die sexuelle Ausbeutung von Studenten, die dies aufgrund äußerer Zwänge (Studiengebühren) über sich ergehen lassen müssen.

Natürlich ist Ausbeutung, nicht nur von Studenten, und sind Studiengebühren abzulehnen. Doch warum sorgt man sich gerade so um jene Menschen, die sich zum Zwecke des Geldverdienens für eine Erwerbstätigkeit im Bereich der Sexarbeit entscheiden? Warum fragt niemand nach der Ausbeutung von Studenten im Call-Center, in der Frittenbude oder am Zeitungsabo-Stand? Warum sprich niemand von Zwangs-Kellnern, Zwangs-Nachhilfelehrern oder Zwangs-Sekretären? Wir alle (nicht nur Studenten) sind gezwungen, Geld zu verdienen und uns einen Job zu suchen. Aber gerade Studenten haben es schwer, angemessene (d.h. weder ausbeuterische, noch entwürdigende, noch anspruchslose) Erwerbsquellen zu finden, da sie weder eine abgeschlossene Ausbildung vorweisen, noch Vollzeit arbeiten können. Viele Studenten sind deshalb gezwungen, in bescheuerten Jobs, für bescheuerte Chefs, für geringen Stundenlohn zu arbeiten. Je geringer der Stundenlohn, desto mehr Zeit geht für die Erwerbstätigkeit drauf, desto weniger Zeit bleibt für das Studium.

Das ist die prekäre Situation, der sich Studenten allerorts gegenüber sehen, und hierbei sind Ausbeutungsverhältnisse wie unbezahlte Praktika oder sonstige unbezahlte Tätigkeiten zum Zwecke der Aufhübschung des Lebenslaufes, wie sie weithin (z.B. am Goethe-Institut) üblich sind, noch nicht bedacht. Dennoch wird das Problem der Ausbeutung studentischer Arbeitskraft allein im Bereich der Sexarbeit thematisiert. Gerade diesen Bereich, in dem ich seit 3 Jahren als Studentin selbstständig arbeite, empfinde ich jedoch als am wenigsten ausbeuterisch von allen, sich mir als Studentin bietenden Möglichkeiten des Gelderwerbs.

Hier arbeite ich selbstbestimmt und unabhängig. Ich bin mein eigener Chef, ich kann meinen Kopf und meinen Willen durchsetzen und bin niemandem verpflichtet oder Rechenschaft schuldig. Ich bestimmte selbst wann, wie lange und wie oft ich arbeite und ich habe einen Stundenlohn, der es mir erlaubt, auch mal frei zu nehmen, wenn am nächsten Tag eine Klausur ansteht. (Der aus meiner Preisliste errechnete Studenlohn von 150€/h muß dadurch relativiert werden, dass neben der eigentlichen Escortbegleitung auch noch Zeit in Marketing, Vorbereitung, etc. investiert werden muß.) Vier bis sechs Stunden Begleitservice im Monat reichen, um meinen Unterhalt zu sichern und mein Studium zu finanzieren. Freunde von mir arbeiten 16 Stunden/Woche, um ebenso viel zu verdienen, müssen sich über ihren Chef oder die Geistlosigkeit ihrer Tätigkeit ärgern. Diese Probleme habe ich nicht.

Das einzige, wirklich gravierende Risiko, das ich als studentische Prostituierte eingehe, ist das des gesellschaftlichen Ruins, der Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Gesellschaft, an der ich teilhabe. Dies ist ein alltgäliches Problem, mit dem nicht nur studentische Prostituierte, sondern sämtliche Sexarbeiter konfrontiert sind und das sich u.a. im reißerischen Umgang mit dem Thema „Studentenprostitution“ äußert. Niemand muß schockiert darüber sein, dass mehr und mehr Studenten Geld als Prostituierte verdienen, der nicht ebenso schockiert darüber ist, dass mehr und mehr Studenten Geld als Telefonisten, etc. verdienen. Niemand muß die Ausbeutung von Studenten in der Sexarbeit beklagen, der nicht auch die Ausbeutung von Studenten in Call-Centern, etc. beklagt. Diese diskursive Abwertung der potentiell vernünftigeren und bewußteren Entscheidung für ein weniger prekäres Arbeitsverhältnis in der Sexarbeit, ist inakzeptabel und doppelbödig. Denn die Probleme von Studenten in der Sexarbeit entstehen in erster Linie nicht durch die Sexarbeit selbst, sondern durch den schlechten Umgang mit ihr, durch mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz, die sich u.a. im Schock über steigende Zahlen studentischer Prostituierter zeigt.

Übrigens, eine vierköpfige Projektgruppe des Studienkollegs zu Berlin (Humboldt-Universität) führt gerade eine Studie zum Thema durch, an der sich nicht nur studentische Prostituierte, sondern sämtliche Studierenden beteiligen können und sollen. Fragebogen und Einführungstexte kranken zum Teil an den im obigen Text angedeuteten Vorurteilen, zum Teil an naiver (externer, oberflächlicher) Sicht auf das Thema. Meine Freundin und Kollegin Sascha hat auch bereits persönlich mit dem Team gesprochen und entsprechende Kritik geäußert. Interessieren würde mich das Ergebnis aber auf jeden Fall – vorausgesetzt es wird sachlich und nicht reißerisch aufbereitet.

Zur Studie und zum Fragebogen geht es hier: studentssexwork-study.com


 
 
 

8 Kommentare zu “Studentenprostitution”

  1. Studentin
    24. Februar 2011 um 09:57

    Also ich finde es auch viel Schlimmer in einem Call Center zu arbeiten was den Sex angeht muss das eben jeder selber Wissen. Ich glaube die meisten Studentinen müssten eigentlich klug genug sein um zu wissen, dass es alternativen gibt und zu wissen was sie da tun. Ist eben viel schnell verdientes Geld, dass hat für einige einen Reiz und Studentinnen sind meist jung, zum Teil gut aussehend und nciht auf den Kopf gefallen, was vielen der Kunden sicher gefällt.

  2. carmen
    24. Februar 2011 um 11:58

    Ja, klar, es gibt immer zu bedenken, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Dingen klarkommen oder eben nicht. Ich eigne mich bspw. nicht dafür, Menschen am Telefon mit Werbeanrufen oder Zeitungsabos zu belästigen – schon gar nicht für 5€/h. Sicherlich ist auch nicht Jede(r) (vermutlich sogar die wenigsten) zum Sexarbeiter geeignet – wobei sich diese Einschätzung nicht allein auf die Fähigkeit bezieht, sich auf Sex mit Fremden einlassen zu können. Sondern darauf, mit dem psychischen Druck klarzukommen, dem man aufgrund gesellschaftlicher Ressentiments gegen diesen Beruf ausgesetzt ist. Das Geld in der Sexarbeit mag relativ schnell verdient sein (wobei eben bei Selbstständigen die Zeit für Marketing, Präsentation, Kundenkontakt, etc. zusätzlich einberechnet werden muß). Der bekannten Aussage, es sei auch „leicht verdientes Geld“ widerspreche ich. Schließlich hört man sie stets nur aus dem Munde derjenigen, die diesem Beruf nicht nachgehen und schon daher gar nicht wissen, wovon sie eigentlich reden.

  3. rauskucker
    25. Februar 2011 um 06:54

    Ich bin der Ansicht, daß jede Arbeit, die nur zum Zweck des Gelderwerbs geleistet wird, Prostitution ist.
    Und schlimmer, was die da im Callcenter tun (und da spreche ich aus Erfahrung), ist zwar Prostitution, aber eigentlich nicht mal Arbeit, denn sie ist keine sinnvolle, zielgerichtete produktive Tätigkeit.
    siehe auch den Text von mir:

    http://rauskucker.wordpress.com/2010/09/11/du-bist-nicht-allein-programmtip/

    Ich wünsche dir viel Freude bei deiner Arbeit.

  4. carmen
    25. Februar 2011 um 11:41

    Ja, diese Definition von Prostitution hatte ich auch einst und wollte deshalb das Wort für meine Tätigkeit nicht mehr verwenden. Inzwischen finde ich es aber schlimm, dass ein Wort, das eigentlich eine seriöse und legale Tätigkeit beschreibt, herhalten muß, um prekäre Arbeitsverhältnisse zu bezeichnen. Dass Leute überhaupt unliebsame Tätigkeiten ausführen müssen, um damit Geld zu verdienen, ist ein Problem unserer wirtschaftlichen Gesellschaftsführung. Dafür kann man Worte wie Zwang, Unfreiheit, Sinnlosigkeit, Unterforderung, Ausbeutung, etc. verwenden. Prostitution nennt man das nur deshalb, weil man diese unschönen Verhältnisse gerne mit etwas in Verbindung bringt, was man aus moralischen Gründen ebenfalls für unschön hält, bzw. wo man davon ausgeht, dass da auf jeden Falle die allerschlimmsten Verhältnisse herrschen. Das ist aber ein Vorurteil. Dem Zwang, Geld verdienen zu müssen, sind wir ja erst einmal alle unterworfen und Leute finden verschiedene Wege, Kompromisse für dieses Problem zu finden. Einige finden einen Job, den sie gerne machen, andere müssen sich mit etwas quälen, das sie für bescheuert halten. Diese und jene gibt es in allen Berufsgruppen – das ist eben nicht nur auf Sexarbeit bezogen. Und es gibt eben auch Sexarbeiter, die diesen Job nicht „nur wegen des Geldes“ machen – ich zähle mich zu denen übrigens auch.

  5. Melebert
    25. Februar 2011 um 16:23

    Meine Studienzeit ist schon einige Jahre her, aber ich kann mich erinnern, dass es da schon verdammt viele Studenten gab, die des Nachts, wenn sie eigentlich schlafen sollten, noch eine Schicht bei der Post geschoben haben, wo sie Pakete sortiert haben. Warenlieferungen in der Nacht umschichten oder ein- und auspacken war auch ein Job, von dem ich des öfteren gehört habe. Jede dieser Erzählungen hatte den enervierten Unterton eines von Stupidität und hirnloser Arbeit genervten. Dieses Problem existiert also schon länger. Nur dass es immer verbreiteter wird und eine immer größere Anzahl von Studenten erfasst, das ist das wirkliche Problem.

    Ich hatte damals das Glück das Gute mit dem Nützlichen verbinden zu können und habe einen Studentenjob gefunden, der zu meinen Interessenlagen passte und der deutlich besser bezahlt war als ich es von den anderen studentischen Tätigkeiten her kannte. Trotz dass ich ein deutlich besseres Los gezogen hatte, fand ich es als verdammt störend, neben dem Studium noch arbeiten zu müssen, um den Tagesbedarf decken und am Leben (mit Einschränkungen) teilnehmen zu können. Auch solche Sprüche wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ haben mich damals schon immer genervt, weil sie verschleiern, dass diese billigen Arbeitskräfte oft genug mehr als nur willkommen sind. Nenne wir es beim Namen: Es ist eine Ausnutzung von Notlagen und ist Ausbeutung.

    In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff Prostitution auch sehr angebracht. Prostitution bedeutet nämlich auch „etwas preisgeben“. Ich will es gar nicht erst versuchen auf die Sexarbeit oder Studenten einzugrenzen. Einige Meldungen aus den Medien zeigen, dass die Anzahl der durch Arbeit hervorgerufenen psychischen Erkrankungen auf dem Vormarsch sind. Solche Erkrankungen entstehen doch auch gerade deshalb, weil Leute zu viel von sich verkaufen, zu viel preisgeben (z.B.: Trennung Privat und Arbeit). Ihre Notlage ist oft genug, dass sie Geld verdienen müssen; ein Ausbruch daraus würde ein gesellschaftlicher Abstieg sein: Verarmung mit allen einhergehenden Folgen; gesellschaftliche Ausgrenzung von HartzIV ist da inbegriffen. (Oft genug nicht nur für sich allein, sondern für eine ganze Familie.)

    Ehrlich, ich verstehe diesen Aufschrei, der sich allein auf die Studentenprostitution im Sinne von Sexarbeit bezieht auch nicht. Der Aufschrei ist eine Heuchelei, die auf althergebrachten moralischen Wertevorstellungen und Ausgrenzungen basiert. Dabei ist die steigende Verbreitung der Studentenarbeit zur Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes nur ein Symptom der Missachtung des Grundsatzes, dass Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf. Das ist der eigentliche Skandal.

  6. carmen
    26. Februar 2011 um 14:22

    Ich finde eigentlich jede Form von fremdbestimmter Erwerbstätigkeit inakzeptabel. Der existentielle Druck, der durch das „Geld verdienen müssen“ entsteht, macht uns unfrei und erpressbar. Viele Menschen leiden unter schlechten Arbeitsverhältnissen, sei es eben weil sie schlecht bezahlt sind oder vielfach auch, weil sie ihre Tätigkeit für sinnlos und nicht nachhaltig/konstruktiv halten. Ich finde es allein für die Motivation, Dinge zu tun, extrem wichtig, einen Sinn in ihnen zu sehen, das Gefühl zu haben, dabei etwas zu lernen, mich weiter zu entwickeln und mich frei und selbstständig zu machen. Ich habe große Angst davor, in ein System von „Arbeitgeber – Arbeitnehmer“ zu geraten, was übrigens ein Grund für die Ausdehnung meiner Studienzeit ist.

    Aber auch an diesem Punkt wird man wieder schikaniert. Wer nicht den Hauptteil seiner Lebenszeit damit verbringt, für Geld zu arbeiten, der muß sich anhören, dass er faul, Langzeitstudent, Sozialschmarotzer oder ähnliches ist. Auch hierdurch wird Druck aufgebaut und werden Menschen in unfreie Verhältnisse gezwängt. Selbstständige Sexarbeit ist für mich persönlich tatsächliche eine Alternative, ein Kompromiß, den ich eingehen kann.

  7. 17. Dezember: Der Internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen (International Day to End Violence Against Sex Workers) « menschenhandel heute
    17. Dezember 2012 um 09:52

    […] Untersuchungen zeigen, dass auch Studierende, vor allem Studentinnen, Ihr Studium mit Sexarbeit als Nebenjob finanzieren. Im vergangenen Jahr hat sich eine Gruppe von Stipendiaten und Stipendiatinnen der Studienstiftung des deutschen Volkes mit dem Thema befasst. In Berlin kann sich jede_r dritte Studierende vorstellen, das Studium mit Sexarbeit zu finanzieren – jede_r 27. Studierende tut das tatsächlich. Vergangene Woche sorgte ein ähnlicher Bericht in Großbritannien für Aufmerksamkeit: Steigende Kosten, insbesondere Studiengebühren und Lebenshaltungskosten, führen dazu, dass immer mehr Studierende Ihr Studium mit Sexarbeit finanzieren. Dass gerade dieser Bereich Aufsehen erregt, nicht aber die Tatsache, dass viele Studierende für einen äußerst niedrigen, teilweise ausbeuterischen Stundenlohn arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen, sei Teil des Problems – so eine Bloggerin. […]

  8. Damaro
    1. März 2013 um 14:30

    Ich bin ganz deiner Meinung!
    „Das einzige, wirklich gravierende Risiko, das ich als studentische Prostituierte eingehe, ist das des gesellschaftlichen Ruins, der Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Gesellschaft, an der ich teilhabe.“
    Ich bin Medizinstudentin und arbeite auch seit fast 3 Jahren als Teilzeit-Escort. Zuerst bei einer Agentur in der Schweiz aber schon nach 6 Monaten vollkommen selbständig als Independent Escort in Deutschland und gelegentlich auch in Basel. Es gefällt mir sehr.
    Ich betrachte meinen Job als etwas Emanzipatorisches, wenn sich eine Frau für Begleitung und Sexdienste gut bezahlen lässt und dafür in allen Belangen unabängig bleibt.
    Früher jobbte ich als Aktmodell und hatte ich unzählige One-Night-Stands mit Typen, die mir nachher nicht immer gefielen. Jetzt habe ich einen Kreis von netten Stammkunden, mein Arbeitsaufwand als Escort hält sich in Grenzen. Wenn ich attraktiv bin, soll ich das auch ausnutzen.

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